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Das Bild

Das Bild

Titel: Das Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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unmöglich sagen - stapften Hufe auf Stein.
Sie bewegten sich gemächlich, schienen näher zu kommen,
klangen wieder ein wenig ab und kamen erneut näher, und
dann (irgendwie war das beängstigender als das Geräusch
selbst) verstummten sie völlig. Sie hörte ein tiefes, feuchtes
Schnauben. Dem folgte ein noch tieferes Grunzen. Dann war
nur noch das Baby zu hören, dessen Plärren bereits wieder
leiser wurde.
Rosie stellte fest, daß sie sich den Stier nur zu gut vorstellen konnte, ein riesiges Tier mit drahtigem Fell und breiten
schwarzen Schultern, die drohend über dem gesenkten Kopf
aufragten. Selbstverständlich würde er einen goldenen Ring
in der Nase haben, wie der Minotaurus in dem Sagenbuch,
das sie als Kind gehabt hatte, und das grüne Leuchten aus
den Wänden würde sich wie winzige Fünkchen wabernden
Lichts in diesem Ring spiegeln. Erinyes stand jetzt stumm in
einem der vor ihr liegenden Durchgänge und hatte die Hörner gesenkt. Horchte nach ihr. Wartete auf sie.
Sie ging den schwach leuchtenden Korridor entlang, ließ
eine Hand über die Wand gleiten und lauschte nach Stier
und Baby gleichermaßen. Auch nach weiteren Kothaufen
hielt sie Ausschau, sah aber keine. Jedenfalls noch nicht.
Nach etwa drei Minuten mündete der Weg, den sie eingeschlagen hatte, in einer T-Kreuzung. Links schien sich das
Weinen des Baby lauter anzuhören (oder habe ich nur ein dominierendes Ohr zu meiner dominierenden Hand? fragte sie sich),
daher wandte sie sich in diese Richtung. Sie war erst zwei
Schritte weit gekommen, als sie wieder stehen blieb. Mit
einem Mal wußte sie, wofür die Samenkerne waren: sie war
eine unterirdische Gretel, allerdings ohne Bruder, mit dem
sie ihre Angst teilen konnte. Sie ging zu der T-Kreuzung
zurück, kniete nieder und klappte einen Zipfel ihres
Päckchens auf. Sie legte einen Kern auf den Boden, so daß
das spitze Ende in die Richtung zeigte, aus der sie gekommen war. Wenigstens, überlegte sie sich, gab es hier unten
keine Vögel, die ihre Wegmarkierungen auffressen konnten.
Rosie erhob sich und ging weiter. Fünf Schritte brachten
sie zu einem neuen Durchgang. Sie sah hinein und stellte
fest, daß er sich nicht weit entfernt in drei Wege verzweigte.
Sie entschied sich für den mittleren und kennzeichnete auch
ihn mit einem Granatapfelkern. Dreißig Schritte und zwei
Biegungen später, bildete dieser Weg eine Sackgasse an einer
Mauer, auf die mit schwarzer Farbe acht Worte gepinselt
waren: WILLST DU ES VON HINTEN MIT MIR TREIBEN?
Rosie ging zurück zu der dreifachen Gabelung, bückte
sich, um den Kern aufzuheben, und legte ihn an den Anfang
eines neuen Wegs.
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    Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie auf diese Weise
brauchte, um den Weg ins Zentrum des Labyrinths zu finden, da die Zeit rasch jegliche Bedeutung verlor. Sie wußte,
es konnte nicht schrecklich lang gedauert haben, weil das
Baby weiter schrie … aber als Rosie ziemlich nahe dort war,
waren die Pausen zwischen dem Schreien wieder größer
geworden. Zweimal hörte sie die Hufe des Stiers dumpf auf
dem Steinboden hallen, einmal in der Ferne, einmal so dicht
in der Nähe, daß sie ruckartig stehenblieb und die Hände an
die Brust preßte, während sie darauf wartete, daß er am Ende
des Durchgangs erscheinen würde, wo sie sich befand.
    Wenn sie einen Weg zurückgehen mußte, hob sie stets den
letzten Kern wieder auf, damit sie sich auf dem Weg nach
draußen nicht verirrte. Sie hatte mit fast fünfzig angefangen;
als sie schließlich um eine Ecke kam und direkt vor sich ein
deutlich stärkeres grünes Licht sah, waren es noch drei.
    Sie ging zum Ende des Durchgangs, stand an seiner Mündung und sah in einen quadratischen Raum mit Steinboden.
Sie schaute kurz zur Decke, sah aber nur eine höhlenartige
Schwärze, bei deren Anblick ihr schwindlig wurde. Sie
senkte den Blick wieder, bemerkte mehrere große Dungfla den auf dem Boden und konzentrierte ihre Aufmerksamkeit
dann auf die Mitte des Raums. Dort lag ein dickliches, blondes Baby auf einem Wust von Decken. Die Augen des
Mädchens waren vom Weinen ganz verquollen, die Wangen
naß vor Tränen, aber sie war wieder verstummt, zumindest
vorläufig. Sie hatte die Füße in die Luft gestreckt und schien
ihre Zehen betrachten zu wollen. Ab und zu stieß sie ein tränenersticktes, schluchzendes Stöhnen aus. Das rührte Rosie,
wie es das Kreischen des Babys nicht vermocht hatte; es war,
als wüßte das Kind irgendwie, daß es ausgesetzt worden
war.
Bring mir mein Baby.
    Wessen Baby? Wer

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