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Das Bild

Das Bild

Titel: Das Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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und wäre jede Wette eingegangen, daß es fast bis
zur Straße auf der gegenüberliegenden Seite des Blocks reichte.
Mit ‘ner Hure-Hure hier und ‘ner Hure-Hure da, dachte
Norman und achtete sorgfältig darauf, daß er sein gemächliches
Schlendern nicht veränderte und das Haus nicht mit einem langen,
starren Blick verschlang, sondern in kleinen Schlucken. Hier ‘ne
Hure, da ‘ne Hure, überall ‘ne Hure-Hure.
Ganz genau. Überall ‘ne Hure-Hure.
Er spürte wieder die altbekannte Wut hinter seinen Schläfen
pochen, und mit ihr kam das vertraute Bild, das stellvertretend für
alles stand, was er nicht ausdrücken konnte: die BankCard. Die
grüne BankCard, die sie zu stehlen gewagt hatte. Das Bild dieser
Card stand ihm immer vage vor Augen, sie war ein Sinnbild für
alle Schrecken und Zwänge seines Lebens - die Kräfte, gegen die er
aufbegehrte, die Gesichter (zum Beispiel das seiner Mutter, so weiß
und teigig und irgendwie verschlagen), die ihm manchmal in den
Sinn kamen, wenn er nachts im Bett lag und einzuschlafen versuchte, die Stimmen, die in seinen Träumen sprachen. Beispielsweise die seines Vaters. »Komm hierher, Normie, ich hob dir was zu
sagen, und zwar aus der Nähe.« Manchmal bedeutete das einen
Faustschlag, und manchmal, wenn man Glück hatte und er
betrunken war, eine Hand, die einem zwischen die Beine griff.
Aber das alles war jetzt unwichtig; wichtig war nur das Haus
auf der anderen Straßenseite. Er würde nicht noch einmal so einen
guten Blick darauf werfen können, und wenn er die wenigen
Sekunden vergeudete, weil er an die Vergangenheit dachte, wer war
dann der Gelackmeierte?
Jetzt war er direkt gegenüber. Hübscher Rasen, schmal, aber tief.
Hübsche Blumenbeete voller Frühlingsblumen flankierten die
lange Veranda. Efeuumrankte Metallstäbe steckten in der Mitte
von jedem. Die schwarzen Plastikzylinder am oberen Ende der
Stangen waren jedoch vom Efeu befreit worden, und Norman
wußte warum: Sie waren mit Fernsehkameras bestückt, die überlappende Ansichten der Straße in beide Richtungen zeigten. Wenn
jetzt gerade jemand die Monitore im Inneren überwachte, würden
sie einen schwarz-weiß gekleideten Mann mit Baseballmütze und
Sonnenbrille sehen, der sich von einem Bildschirm zum nächsten
bewegte, gebückt und mit leicht durchgedrückten Knien, damit er
trotz seiner einsachtundachtzigfiir den unaufmerksamen Beobachter etwas kleiner wirkte.
Eine weitere Kamera war über einer Eingangstür montiert, für
die es kein Schlüsselloch geben würde; Schlüssel waren zu leicht
nachzumachen, Schlösser zu leicht zu knacken, wenn man mit
einem Satz Dietriche umgehen konnte. Nein, mit Sicherheit hatten
sie ein Magnetkartenschloß, eine Zifferntastatur, oder beides. Und
hinten im Garten logischerweise noch mehr Kameras.
Als er an dem Haus vorbeiging, riskierte Norman einen letzten
Blick in den Garten an der Seite. Da war Gemüse angepflanzt und
zwei Huren in kurzen Hosen steckten lange Stäbe - Tomatenstöcke,
vermutete er -, in den Boden. Eine sah wie eine Tacofresserin aus:
olivfarbene Haut und langes, zu einem Pferdeschwanz gebundenes
Haar. Eine Figur wie Dynamit und um die Fünfundzwanzig. Die
andere war jünger, möglicherweise nicht mal zwanzig, eine dieser
Punk-Grunge-Schlampen, die sich das Haar in zwei verschiedenen Farben tönten. Ein Verband verdeckte eines ihrer Ohren. Sie
trug ein ärmelloses psychedelisches T-Shirt, und Norman konnte
eine Tätowierung auf ihrem linken Bizeps erkennen. Seine Augen
waren nicht gut genug, daß er erkennen konnte, was sie darstellte,
aber Norman war lange genug Cop und wußte, daß es sich entweder um den Namen einer Rockgruppe oder die schlecht ausgeführte
Zeichnung einer Marihuanapflanze handelte.
Plötzlich sah sich Norman über die Straße laufen, ohne an die
Kameras zu denken; sah sich die kleine Miss Geile Pflaume mit der
Rockstar-Frisur packen; sah sich eine seiner großen Hände um
ihren dünnen Hals legen und nach oben gleiten, bis die Hand vom
Vorsprung ihres Kinns aufgehalten wurde. »Rose Daniels«, würde
er zu der anderen sagen, zu der Tacofresserin mit dem dunklen
Haar und der Figur wie Dynamit. »Hol sie mir sofort hier raus,
sonst brech ich diesem Spermakübel hier den Hals wie einen Hühnerknochen.«
Das wäre toll, aber er war ziemlich sicher, daß Rosie sich gar
nicht mehr in dem Haus aufhielt. Bei seinen Recherchen in der
Bibliothek hatte er herausgefunden, daß fast dreitausend Frauen
die Dienste von Daughters and Sisters in

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