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Das Bildnis der Novizin

Titel: Das Bildnis der Novizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurie Albanese Laura Morowitz Gertrud Wittich
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ihre Reinheit gegen ihren Willen beschmutzt!«
    Schwester Pureza erhob sich und legte eine Hand über die Augen, um Spinetta in der Sonne besser erkennen zu können.
    »Ich war dort«, sagte Schwester Pureza langsam und deutlich. »Sie hat selbst zu mir gesagt, dass sie bei dem Maler bleiben will. Ich habe sie gefragt, ob er sie dazu zwingt oder ihr Gewalt angetan hat, aber sie schwor mir, dass das nicht der Fall sei.«
    »Und das ist die Wahrheit, Schwester Pureza! Der Maler war’s nicht. Es war der Generalabt. Er hat sie mit Gewalt genommen. Er hat ihr die Unschuld geraubt.«
    Schwester Pureza wurde schwindelig. Die Hitze des Gartens war auf einmal unerträglich, schien ihr die Luft aus der Lunge zu pressen.
    »Was sagst du da?«
    »Ich sage, dass der Generalabt sie gefunden und überwältigt hat«, antwortete Spinetta mit zitternder Stimme. »Er hat ihr die Jungfräulichkeit geraubt. Ich wollte es dir schon früher sagen, aber sie hat es mir verboten.«
    Schwester Pureza musste an den Tag in der Hütte des Malers denken. An die Novizin, in ihrem weißen Unterkleid, das goldene Haar wie ein Heiligenschein um Kopf und Schultern.
    »Warum ist sie nicht zu mir gekommen?« Doch noch während sie das sagte, wusste sie die Antwort.
    »Sie hat sich geschämt«, sagte Spinetta leise. »Und du hattest sie weggeschickt.«
    Schwester Pureza wurde übel. Sie wandte sich um, zwang die aufsteigende Magenflüssigkeit mit Gewalt zurück. Sie wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Dann drehte sie sich wieder zu der jungen Frau um.
    »Ist es das Kind des Generalabtes?«, fragte sie grimmig.
    Spinetta überlegte.
    »Nein, ich glaube nicht.«
    »Dann hat sie doch willig gesündigt!«, stieß Schwester Pureza heftig hervor. »Egal, was ihr der Generalabt angetan hat, Schwester Spinetta, mit dem Maler hat sie freiwillig gesündigt!«
    Jetzt wurde Spinetta ganz schwindelig. Lucrezia hatte es vorhergesehen, hatte gesagt, man würde ihr die Schuld geben, egal, was der Generalabt ihr angetan hatte.
    »Der Maler hat versprochen, sie zu beschützen. Er hat gesagt, dass er sie liebt«, rief Spinetta. »Frag Fra Piero, Schwester. Er war Zeuge, als sie die Ehe miteinander eingingen, er war dabei, als sie Mann und Frau wurden.«
    Schwester Purezas Gesicht nahm einen Ausdruck von Wut und Ungläubigkeit an.
    »Nur die Kirche kann das Sakrament der Ehe spenden, Schwester Spinetta! Und die Kirche kann nicht, unter gar keinen Umständen, einen Mönch und eine Novizin trauen!«
    »Aber die Kirche kann Männer wie den Generalabt straflos davonkommen lassen?«, rief Spinetta. »Ich habe Lucrezia angefleht, ins Kloster zurückzukehren, aber sie sagte, man würde ihr die Schuld geben, egal wie die Dinge lagen. Und sie hatte recht.«
    Spinetta fürchtete auf einmal, zu viel gesagt zu haben. Sie machte kehrt und rannte stolpernd davon.
    Im ganzen Garten roch es betäubend nach Rosen, und auch ihr Blütenstaub klebte an Schwester Purezas Fingern. Die alte Nonne saß allein auf einer schattigen Steinbank. Sie zitterte am ganzen Leib.
    Lucrezia war nicht die erste junge Frau, die sie kannte, deren Jungfräulichkeit mit Gewalt geraubt worden war. So etwas passierte ständig, in jeder Stadt und Frauen allen Standes, ob Kammerzofe, Küchenmagd oder Kaufmannstochter. Sogar Nonnen. Meist ging es schnell und im Stillen vor sich. Der Mann tat hinterher, als wäre nichts geschehen, und die Frau trug das Stigma, als gehörte dies zur Erbsünde, die durch Eva in die Welt gebracht worden war.
    Zutiefst beschämt dachte Schwester Pureza an ihre Jugend zurück. Seit Jahrzehnten hatte sie alles verdrängt, das sie an jenen warmen Sommerabend erinnerte, als sie sich in einem herrlichen römischen Garten einem jungen Mann hingab, als die Rosen blühten und ihr der frische Duft von Minze und Moos in die Nase stieg und ihr Herz mit Sehnsucht und Liebe erfüllte.
    Wie Lucrezia, so war auch sie eine junge, soeben erblühte Schönheit gewesen. Aber Pasqualina di Fiesole war nicht mit Gewalt genommen worden; sie hatte ihre Unschuld willig einem jungen Mann aus einer der besten Familien Roms hingegeben. Und als sich dann die Folgen ihrer Sünde in der Schwellung ihres Bauchs zeigten, war sie in Panik geraten und hatte gelogen. Sie hatte behauptet, ihre Unschuld gegen ihren Willen verloren zu haben. Sie hatte ihren Vater angefleht, zu der Familie des jungen Mannes zu gehen und ihn zu einem Heiratsversprechen zu zwingen. Stattdessen war sie von ihrer Mutter ins Kloster Santa

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