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Das Bildnis der Novizin

Titel: Das Bildnis der Novizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurie Albanese Laura Morowitz Gertrud Wittich
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Margherita gesteckt worden, allein mit ihrem Geheimnis und mit dem in ihr heranwachsenden Kind.
    Sie konnte sich gut an den scharfen Gestank in der Krankenstation erinnern, als sie ihr Kind zur Welt brachte. Und Gott hatte sie für ihre Sünde bestraft. Er hatte auch ihr Kind bestraft. Wie sonst ließ sich erklären, dass er ihre wunderschöne Tochter nur wenige Stunden nach der Geburt wieder zu sich genommen hatte?
    Schwester Pureza weinte zum ersten Mal seit langer Zeit. Dicke Tränen rannen über ihre braunen, runzeligen Wangen, benetzten ihre Lippen. Sie konnte die Welt nicht ändern, konnte nicht rückgängig machen, was passiert war. Konnte die schreckliche Sünde, die der Generalabt an Lucrezia begangen hatte, nicht ungeschehen machen. Genauso wenig die Lüge, mit der sie jetzt schon so lange lebte. Aber sie wusste, wohin man das Kind gebracht hatte. Sie konnte den Knaben finden. Zumindest dieses Unrecht konnte sie wiedergutmachen.
    Schwester Pureza schlich sich gleich nach der Tertia aus dem Kloster, als die Mutter Oberin in ihrem Büro saß und mit ihren Rechnungsbüchern beschäftigt war. Glücklicherweise war die Sonne hinter Wolken verborgen und die nachmittägliche Brise kühlte den Schweiß auf ihrer Stirn, als sie sich auf den Weg zur Porta Santa Trinita machte, wo die Häuser immer ärmlicher und die Straßen immer schmaler und schmutziger wurden. Eine Schar Hühner kam angelaufen und pickte am Saum ihres Habits. Rechts und links des Wegs standen windschiefe, ärmliche Hütten, und es stank nach Kohl und altem Fisch.
    Sie war darauf gefasst gewesen, an viele Türen zu klopfen, wurde aber schon nach kurzer Suche auf eine besonders ärmliche Hütte aufmerksam, aus der das Heulen eines Neugeborenen drang. Als sie näher kam, hörte sie die zunehmend verzweifelten Schreie des Kleinen deutlicher. Entschlossen klopfte sie an die Tür. Die Amme riss die Tür auf. An ihrer Brust, die durch die Falten ihres Kleides zu sehen war, hing ein heftig saugender Säugling; seine Schreie hatten aufgehört.
    »Ja, Schwester?«, fuhr die Amme sie an. »Was wollt Ihr hier?«
    Das dunkle Haar der Frau war in ein schmutziges Kopftuch gehüllt, und das Oberteil ihres fadenscheinigen Kleids war voller alter, gelblicher Milchflecken. Hinter ihr krabbelten mehrere Kleinkinder zwischen Körben auf dem dreckigen Boden herum. Das Baby saugte eifrig, kleine Schmatzlaute ausstoßend, die fetten Händchen an ihren Brüsten.
    »Gottes Segen«, sagte die Nonne und schaute der Frau fest ins Gesicht. »Ich bin gekommen, um dich von deinen Pflichten zu befreien. Die Mutter des Kindes ist genesen; sie kann ihn jetzt selbst stillen.«
    »Hä?« Die Amme runzelte die Stirn. »Der Mann hat gesagt, ich kann mit mindestens zwei Jahren Lohn rechnen! Das ist gute Milch, das da!«
    Die alte Nonne griff nach einem kleinen Beutel, den sie an einem Strick um den Hals trug. Sie nahm ein Goldstück heraus. Es war das letzte Goldstück, das sie hatte. Sie besaß es schon so lange, dass sie nicht mehr wusste, wie sie in dessen Besitz gekommen war.
    »Nimm dies für deine Mühen«, sagte sie. »Es ist zwar nicht der Lohn für zwei Jahre, aber es wird dir helfen, bis du ein anderes Kind als Ersatz gefunden hast.« Schwester Pureza drückte die Münze in die schmutzigen Hände der Frau. Kaum hatte die Frau das Geld, riss sie den Säugling von ihrer Brust und drückte ihn Schwester Pureza in die Arme. Das Kind ließ nur einen schwächlichen Protest hören.
    »Nehmt ihn schon. Und verschwindet.« Die Amme knallte die Tür zu.
    Vor dem schmutzigen Fenster der Hütte stand ein klobiger Hocker. Darauf ließ sich Schwester Pureza vorsichtig nieder und schlug das schmutzige blaue Tuch auseinander, in das der Säugling gewickelt war. Die Amme hatte seine winzigen Fingernägel nicht geschnitten und ihn auch nicht gewaschen, wie der Dreck, der sich in seinen speckigen Falten gesammelt hatte, bewies. Sie würde den Kleinen mit ihrer Spezialsalbe einreiben, wenn sie wieder im Kloster war, denn er war ganz wund zwischen den Beinen. Dann drehte sie ihn um, um zu sehen, wie schlimm es hinten aussah.
    Sie schnappte nach Luft.
    Da war zwar ein leichter Ausschlag, aber davon abgesehen war die Haut auf seinem Po glatt und weiß. Kein rotes Muttermal!
    »Amme!«, schrie sie und hämmerte an die Tür. »Du hast mir das falsche Kind gegeben!«
    Sie musste auch ihre letzten kümmerlichen Münzen hergeben, bis die verärgerte Amme endlich dazu bereit war, ihr alles zu erzählen.

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