Das Bildnis der Novizin
bin so froh, dass du mich begleiten darfst.«
Während sie langsam die Via Santa Margherita entlanggingen, warfen sie scheue Blicke auf die vorbeigehenden Frauen. Eine schleppte zwei schwere Wassereimer, die andere hatte einen in Sacktuch eingewickelten Schweinekopf in den kräftigen Armen.
»Schau, da ist Paolo, der unsere Ziegen hütet!« Lucrezia zeigte auf einen jungen Burschen, der strahlte, als er sie sah.
»Paolo, guten Morgen«, rief sie. Der Junge war barfuß. Ohne zu zögern warf Lucrezia ihm das grobe Roggenbrot mit Nüssen zu, das die Küchenschwester ihnen für den Tag eingepackt hatte.
Aus einem Hauseingang ertönte ein jämmerliches Stöhnen. Die beiden Schwestern erblickten eine zerlumpte Frau, die einen Arm in einer Schlinge trug. Den anderen streckte sie ihnen bettelnd entgegen. Betroffen blieben die beiden stehen.
»Kommt, Schwestern«, sagte der Bote und zog sie sanft weiter.
Die Schwestern gingen schneller, aber ihre gute Laune war verflogen.
»Die Mutter Oberin hat gesagt, dass ich dem Maler zur Ehre von ganz Florenz Modell sitzen darf«, sagte Lucrezia. »Aber sie hat mich gleichzeitig davor gewarnt, ihn nicht zu nahe kommen zu lassen, auch wenn es die Arbeit zu erfordern scheint.«
»Ich habe gehört, wie sich die Mutter Oberin mit Schwester Camilla über ihn unterhalten hat«, sagte Spinetta zögernd. »Man sagt, er hätte große Schwierigkeiten mit dem Bischof von Florenz gehabt und er wäre bekannt dafür, mit verrufenen Frauen zu verkehren.«
Lucrezia musste an die Ausstrahlung, die Energie und Vitalität des Mönchs denken.
»Aber er wird von vielen verehrt«, sagte sie langsam. »Und vielleicht ist die Mutter Oberin neidisch auf ihn, weil er außerhalb des Klosters leben darf und in der Gunst des großen Cosimo de Medici steht.«
»Vielleicht«, stimmte Spinetta zu. Sie wusste, dass sich die Äbtissin beständig um die Finanzen des Klosters sorgte und den Spenden, die dem Kloster aufgrund der Anwesenheit Fra Filippos zufielen, große Bedeutung beimaß. Das sagte sie auch zu ihrer Schwester.
»Und du? Was hältst du von unserem Kaplan?« Lucrezia wagte nicht, ihre Schwester anzusehen, weil sie fürchtete, diese könne merken, wie wichtig ihr diese Frage war.
Spinetta zögerte keine Sekunde.
»Er ist in Ordnung«, verkündete sie. »Wenn er das Kloster betritt, scheint er immer einen frischen Wind mitzubringen.«
»Ja«, sagte Lucrezia, »das finde ich auch. Wenn jemand so viel Schönes schafft, kann er nicht schlecht sein, oder, Spinetta?« Sie hielt den Atem an. »Und dann ist es doch wohl ehrenhaft von mir, ihm bei seiner Arbeit zu helfen, wenn ich kann, oder?«
»Du tust nur, was man von dir verlangt«, antwortete Spinetta zögernd. »In diesem Fall, wie auch in allen anderen Dingen.«
Sie bogen um eine Ecke und da war er, der berühmte Glockenturm der Kathedrale. Pferde trabten über die Piazza, Karren rumpelten vorbei, Frauen riefen nach ihren Kindern. Lucrezia wirkte zwar äußerlich ruhig, doch innerlich bebte sie vor Erregung. Sie konnte es kaum erwarten, den Mönch zu sehen.
»Schau«, rief Spinetta und deutete auf einen weiß-grün gestreiften Turm, der die roten Ziegeldächer überragte. »Das muss er sein, der Glockenturm von Santo Stefano.«
Nur wenige Schritte vom Domplatz entfernt, bog der Bote in einen schmalen Weg ein, der zu einem schlichten, mit Stroh gedeckten Gebäude führte.
»Wir sind da«, flüsterte Lucrezia.
Hinter einem großen Frontfenster tauchte das Gesicht des Mönchs auf. Als er die Schwestern sah, breitete sich ein Strahlen auf seinem Gesicht aus. Er eilte zur Tür und öffnete, noch bevor der Bote klopfen konnte.
»Willkommen. Ich hoffe, ihr hattet einen angenehmen Spaziergang.«
Lucrezia wusste auf einmal nicht, was sie sagen sollte. Sie wünschte, sie hätte ein schönes Kleid an und nicht diesen schäbigen schwarzen Umhang und ihren weißen Nonnenschleier. Zu ihrer Überraschung war es die sonst so schüchterne Spinetta, die frisch drauflosplapperte.
»Ach, Bruder Filippo, wir haben den Weg hierher wirklich genossen! Die frische Luft und was es alles zu sehen gab! Was für eine Freude an einem so schönen Tag, gelobt sei der Herr!«
Fra Filippo lachte.
»Ich hoffe, du denkst noch genauso, wenn du erst meine Werkstatt betreten hast«, sagte er. »Leider müssen wir drinnen arbeiten, so schön es draußen auch sein mag.«
»Ach, das macht gar nichts.« Spinetta strahlte und zeigte dabei ihre regelmäßigen weißen Zähne.
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