Das Bildnis der Novizin
»Ich muss sowieso die Ordensregeln unseres heiligen Augustinus abschreiben.« Sie hielt ihre Pergamentrolle hoch. »Allerdings hat die Mutter Oberin gesagt, ich soll Euch um Tinte bitten.« Sie schlug beschämt die Augen nieder.
Normalerweise ärgerte sich Fra Filippo über solche kleinen Unverschämtheiten der Äbtissin, denn er gab nicht gern etwas von seinen Vorräten heraus. Aber an diesem schönen Tag, an dem die reizende Lucrezia auf seiner Türschwelle stand, konnte ihm nichts die gute Laune verderben.
»Aber gern.«
Eine verlegene Pause trat ein. Von der Straße drangen das Rattern von Karren und das Klirren des Geschirrs der Pferde zu ihnen, die in einer Reihe vor den einfachen Läden angebunden standen.
»Bruder.« Der Bote verbeugte sich. »Ich hatte den Auftrag, die Schwestern sicher bei Euch abzuliefern und werde sie kurz vor Vesper wieder abholen und zum Kloster zurückbegleiten.«
»Ja, natürlich. Entschuldigt!« Der Mönch, der ganz verträumt dagestanden hatte, gab sich einen Ruck. »Bitte, kommt doch herein.« Er bedeutete den Schwestern, einzutreten.
Die Novizinnen folgten ihm in eine kleine Diele. Dort stand, unter einem winzigen Fenster, ein niedriger Schreibtisch.
»Hier kannst du sitzen, Schwester Spinetta, hier ist es schön luftig«, sagte er und raffte rasch einen Haufen Schmutzwäsche zusammen, den er für die Küchenmagd dort hingelegt hatte. »Hier hast du genug Licht und kannst deine Schreibarbeit machen.«
Spinetta nickte zustimmend und Fra Filippo stellte ein Tintenfässchen und ein paar frisch gespitzte Schreibfedern auf den Tisch, dazu einen Krug Wasser und einen kleinen Teller mit Käse.
»Tut mir leid, dass ich dir nicht mehr anbieten kann«, sagte er.
»Ach, das ist doch wunderbar, Bruder«, sagte Spinetta.
Lucrezia trat stumm beiseite. Ihr war schwindelig von der Hitze. Sie hatte noch immer ihren schweren Mantel um die Schultern.
»Also gut!«, sagte Fra Filippo, als habe er ihre Gedanken gelesen. »Der Tag wird immer wärmer. Bitte, nehmt eure Mäntel ab. Und dann möchte ich euch, wenn es euch recht ist, mein Atelier zeigen.«
Der Maler hatte die zahlreichen Skizzen von Lucrezia weggeräumt und de Valentis Madonna mit Kind zur Wand gedreht. Der Boden war sauber gefegt, die Tisch- und Regaloberflächen abgewischt, die Spinnweben verschwunden. Vor die Ecke, in der er Unrat sammelte, hatte er einen Vorhang gespannt.
»Natürlich arbeite ich an vielen verschiedenen Projekten«, erklärte er. »Die Fresken für den Stefansdom – deshalb bin ich ursprünglich überhaupt nach Prato gekommen – sind noch längst nicht fertig.«
Jetzt, wo er über das sprach, was er kannte und liebte, kehrte seine Selbstsicherheit zurück. Er war ein erfahrener Maler, ein Meister seines Fachs, und fühlte sich wohl in seinem Atelier, egal wer zu Gast war.
»Hier, die Entwürfe für den Freskenzyklus über das Leben des heiligen Stephanus. Der kommt auf die Nordwand der Kapelle.« Er zeigte den Schwestern das Pergament, auf dem er das Geburtsgemach sowie den Landschaftshintergrund sorgfältig aufgezeichnet hatte. Dort würde die Mutter des Heiligen unter einer kostbaren Samtdecke ruhen und hier würden die Stufen der Synagoge hinkommen, wo der Heilige sich in einen Disput mit einigen Rabbinern verwickeln ließ.
Als Lucrezia sah, wie detailversessen er die Gebäude aufgezeichnet, die Perspektiven ausgemessen, versteckte Treppen skizziert hatte, die ganze komplexe Architektur, machte sie zum ersten Mal den Mund auf.
»Das sieht kompliziert aus, Bruder Filippo«, sagte sie. »So viele Linien und Wände, Räume innerhalb von Räumen.«
»Ah, ja!« Der Mönch freute sich, dass sie die Schwierigkeiten seiner Arbeit so rasch erkannte. Aufgrund der Schriften von Brunelleschi und Alberti verstand die Künstlergemeinde schon seit Generationen, was Perspektive bedeutete, aber Fra Filippo wollte noch mehr als das. Er wies auf die Stelle, an der die Fresken um die Ecke der Kapelle verlaufen würden. »Schaut, hier, es sieht aus, als würden die Figuren aus dem Bild heraustreten.«
Fra Filippos Begeisterung für seine Arbeit war ansteckend. Die Schwestern entspannten sich, und Lucrezia spürte, wie sich ihr Körper allmählich wieder abkühlte.
»Es ist wichtig, so viele Aufträge wie möglich zu haben, denn ich muss alle meine Gönner bei Laune halten, sonst suchen sie sich einen anderen Maler. Aber natürlich hat das Altarbild der Medici Vorrang vor allem anderen. Deren Emissär hat
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