Das Bildnis der Novizin
großen Meister unserer Zeit.« Er hätte nie gedacht, ein solches Fachgespräch mit ihr führen zu können, und freute sich ungemein darüber. »Aber dieses Geheimwissen stammt von Gott – nicht vom Teufel -, damit wir seine Welt noch schöner machen. Viele große Werke zieren die Wände unserer Kirchen und erstrahlen in den leuchtendsten Farben, die wir uns nur vorstellen können – dank dem, was Unwissende törichterweise als Teufelswerk bezeichnen.«
Lucrezia merkte, dass dies ein Thema war, das dem Maler sehr am Herzen lag. Seine Leidenschaftlichkeit war einschüchternd, aber auch erregend. Wenn sie in seine offenen, warmen Züge schaute, in seine melancholischen Augen, wurde ihr ganz seltsam zumute.
»Ja, sicher ist das nicht viel anders als das, was die Färber in ihren Farbbottichen anrühren, das hätte ich mir eigentlich denken können. Ich bitte Euch nochmals um Verzeihung, Bruder.«
»Ach, das macht doch nichts«, sagte er wegwerfend. »Weißt du, ich glaube, es ist besser, ich zeige dir, wie man es macht, dann siehst du selber, dass keine schwarze Magie dahintersteckt. Man mischt einfach nur die irdischen Materialien, die Gott uns geschenkt hat.«
Fra Filippo trat an sein Apothekerregal und nahm ein paar Tiegel und Töpfchen herunter. Ein mit einer bernsteinfarbenen Substanz gefülltes Fläschchen entkorkte er und hielt es ihr hin.
»Riech das mal. Aber vorsichtig!«
Sie tat es, und sofort begannen ihre Augen zu tränen und ihre Nase zu brennen.
»Ammoniak.« Der Mönch verkorkte das Fläschchen sorgfältig und öffnete anschließend ein Töpfchen, in dem sich ein gelbes Pulver befand.
»Vorsicht, das hier ist noch schlimmer als das vorhin«, sagte er und hielt Lucrezia das Behältnis hin.
Lucrezia schloss die Augen und wedelte den Geruch vorsichtig mit der Hand an ihre Nase. Sie zuckte zurück.
»Gott, das ist ja grässlich!«, rief sie und schlug die Hände vor Mund und Nase. Der Mönch lachte entzückt über ihre Reaktion.
»Das ist Schwefel«, erklärte er. »Und jetzt werden wir diese beiden abscheulichen Substanzen mal vermischen.«
Er nahm eine Messerspitze von jedem. »Dazu kommt Quecksilber. Und dann noch ein wenig Zinn.« Fra Filippo fügte je ein paar Tröpfchen der genannten Flüssigkeiten hinzu. »Jetzt umrühren und dazu noch die Magie des Feuers.«
Der Maler entzündete eine dicke Kerze und hielt das Tiegelchen über die Flamme, bis sich die Substanzen miteinander verbunden hatten. Dann nahm er das Behältnis vom Feuer und rührte um. Ein wundervolles, leuchtendes Gelb war entstanden. Er hielt es Lucrezia hin, die bewundernd nach Luft schnappte.
»Und das ist keine Sünde?« Sie bezog sich mit dieser Frage auf weit mehr als nur das Problem, ob die Alchemie nun von Gott kam oder Teufelswerk war. Mit angehaltenem Atem wartete sie auf seine Antwort.
»Nein, das ist Schönheit. Und Schönheit ist keine Sünde.« Fra Filippos Blick ruhte warm auf ihr.
Diesmal schaute sie nicht weg, obwohl sie fühlte, wie sie errötete.
»Das ist Mosaikgold«, erklärte er, »das werde ich für deine Krone verwenden.«
»Nicht meine«, Lucrezia wandte hastig den Blick ab, »die Krone der Madonna.«
Beide drehten sich um, als in diesem Moment Spinetta aus der Diele auftauchte, die Hände in den Ärmeln ihres Habits, wie es sich für eine fromme Nonne geziemte.
Sie trat an den Tisch und schaute, was der Mönch in der Hand hatte. »Das ist wunderschön, Bruder«, sagte sie, »aber ist es nicht allein Gott, der die Natur der Dinge verändern kann?«
Lucrezia trat hastig einen Schritt zurück, brachte Distanz zwischen sich und den Mönch. Sie war schockiert, dass ihre sonst so schüchterne Schwester so kühn auftrat, doch der Mönch schien nichts dabei zu finden. Er antwortete freundlich, doch ohne jene gewisse Wärme, die immer dann in seiner tiefen Stimme mitschwang, wenn er zu ihr, Lucrezia, sprach.
»Ja, Schwester Spinetta, es ist Gott, der die Dinge verwandelt. Wir wissen natürlich, dass er aus der Rippe Adams Eva erschuf, weil Adam einsam war und sich nach einem Weibe sehnte. Aber diese Art von Magie ist uns nicht verschlossen.«
Bei der Erwähnung von Adam und Eva musste Lucrezia unvermittelt an Masaccios Fresken denken, an die Verzweiflung in den Gesichtern der beiden. Sie wusste nicht, dass Fra Filippo als Kind dem großen Meister beim Malen über die Schulter geschaut hatte.
»So, wie Jesus Wasser in Wein verwandelt hat, so verwandeln wir den Kokon der Seidenraupe in wundervolles
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