Das Bildnis der Novizin
Woche Besuch von zwei Novizinnen erhielt. Sie wies ihn darauf hin, dass die Bewahrung der Ehre und der Tugend der beiden jungen Frauen oberste Priorität habe.
»Nun, ich kann Euch versichern, liebe Mutter Oberin, dass Eure Novizinnen bei mir in den besten Händen sind«, hatte der Mönch der sauertöpfischen Äbtissin geantwortet. »Zudem habe ich den ehrenwerten Fra Piero d’Antonio di ser Vannozzi zur nächsten Sitzung am Dienstag eingeladen. Er wird gut auf die Schwestern achten, während ich arbeite.«
»Den Prokurator?«, hatte die Äbtissin überrascht gefragt. Sie hatte geglaubt, der Geistliche halte sich noch in dem neuen Kloster in Montepulciano auf.
»Ja, er ist für die Feierlichkeiten heimgekehrt und hat versprochen, mir die Ehre seiner Gesellschaft zu erweisen. Falls Ihr nichts dagegen habt«, hatte er mit geheuchelter Demut hinzugefügt. Natürlich hatte die Äbtissin nichts gegen diesen Besuch einwenden können, stand der Prokurator in Rang und Einfluss doch über ihr.
Nach diesem Gespräch war Fra Filippo wieder in sein Atelier zurückgekehrt und hatte sich erneut in eine Skizze von Lucrezias zartem Antlitz gestürzt. Er hatte so lange daran gefeilt, bis er den Schwung ihrer Wangen, die zarten Knochen um ihre Augen perfekt eingefangen hatte. Nun schien das Mädchen auf dem Vellum geradezu lebendig zu werden, zu atmen. Anschließend hatte er sich daran gemacht, den Hintergrund auszufüllen, das feine Gras, den üppigen Blumenteppich, die eleganten Zypressen.
Fra Filippo hatte wie in Trance gearbeitet, rein intuitiv, beseelt geradezu. Er hatte in seinem Leben schon bei mehr als einer Frau gelegen: Magdalena di Rosetta Ciopri hatte ihn im Hügelland von Padua zum Liebhaber genommen; und die Frau eines Florentiner Wollhändlers hatte ihn heimlich in ihr Bett geschleust. Diese Frauen und andere, die er bezahlte, hatten ihm Freude geschenkt und seine fleischlichen Bedürfnisse befriedigt. Doch bei keiner hatte sein Herz geklopft, als wollte es zerspringen, keine hatte die Farben seiner Welt verändert, hatte selbst einfache Tätigkeiten zu Momenten schwindelerregenden Glücks gemacht.
Nur Lucrezia hatte das, und ihre Macht über ihn wurde in der Selbstverständlichkeit sichtbar, mit der er arbeitete.
Die Glocken des Stefansdoms läuteten, als die beiden Schwestern mit ihrer Eskorte bei ihm eintrafen.
Endlich.
Lucrezia war da.
Sie und ihre Schwester betraten Fra Filippos Werkstatt wie üblich mit scheu gesenktem Blick und brachten den Duft des Klostergartens mit sich.
»Wunderschön«, hauchte Spinetta, als sie die Skizzen sah, die der Mönch seit ihrem letzten Besuch gemacht hatte. »Ihr habt etwas in meiner Schwester eingefangen, das in ihrem Innern verborgen liegt.«
Der Mönch starrte auf die Skizze, die an der großen Pappelplatte lehnte, die er für den Mittelflügel des Triptychons hatte anfertigen lassen. Sein Blick huschte zwischen dem Werk seiner Hände und Gottes Schöpfung hin und her: vom Pergament zu Lucrezias Gesicht. Diese wandte sich errötend von dem Entwurf ab.
»Es fällt mir schwer, mein Gesicht anzusehen, so wie Ihr es gemalt habt, Bruder«, gestand sie.
Sie war zwar oft neugierig gewesen, hätte sich gerne im Spiegel oder in einem Teich oder Fluss ansehen wollen, war jedoch immer von ihrer Mutter, die sie scharf vor der Sünde der Eitelkeit warnte, davon abgehalten worden.
»Glaub mir, das Gesicht sieht ganz genauso aus wie deins, Lucrezia«, sagte Spinetta ohne jeden Neid. Ihr Blick wanderte zwischen dem Mönch und ihrer Schwester hin und her.
Lucrezia rückte verlegen ihren Schleier zurecht. Wieder warf sie einen Blick auf die Skizze, auf der sie einen Heiligenschein trug.
»Aber das soll gar nicht ich sein«, sagte sie, um Demut bemüht. »Das da auf dem Bild ist die Heilige Muttergottes.«
»So ist es«, beeilte sich der Mönch ihr zuzustimmen. »Du hast ihr nur deine Schönheit geliehen, auf dass wir die Heilige Jungfrau Maria gemeinsam anbeten können.«
Der Mönch beobachtete die Schwestern genau, während sie sich seine Arbeiten ansahen. Er freute sich über Spinettas bewundernde Bemerkungen über die Detailverliebtheit seiner Hintergrundskizzen.
»Vor einem Monat, noch bevor ich wusste, wo ich das Gesicht meiner Madonna finden würde, war ich draußen am Bisenzo spazieren und habe mir die Zypressen angesehen, die dort unter dem Auge Gottes wachsen.«
Das Auge Gottes . Lucrezia fragte sich unwillkürlich, ob der Mönch sich in seiner ruhigen Art über sie
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