Das Bildnis der Novizin
uns unwichtig«, sagte Schwester Pureza entschieden und führte Lucrezia zu einer Gartenbank. »Männer haben in dieser Welt immer irgendwelche schwerwiegenden Pflichten zu erfüllen. Es ist die Welt, die Gott erschaffen hat und in der von den Männern viel verlangt wird. Im Geschäft deines Vaters ging es sicher auch oft recht hektisch zu.«
Die alte Nonne wartete, bis Lucrezia genickt hatte, bevor sie weitersprach. Wenn sie der jungen Frau wirklich helfen wollte, dachte Schwester Pureza, dann musste sie offen mit ihr reden. Zumindest musste sie versuchen herauszufinden, was der jungen Novizin auf der Seele lastete.
»Auch ich bin in sehr wohlhabenden Verhältnissen aufgewachsen, habe meine Jugend mit Menschen verbracht, deren Lebensinhalt materielle Dinge waren. Nur wenige hier im Kloster wissen, dass auch ich einst kostbare Gewänder getragen und in herrlichen Palazzi verkehrt habe. Aber so war es. Ich weiß, wie schwer es ist, diese Welt hinter sich zu lassen.«
Schwester Pureza wählte ihre Worte mit Sorgfalt. Das Mädchen hatte noch nicht die Profess abgelegt, seine Gelübde waren noch nicht für alle Zeit bindend. Sie konnte sich gut daran erinnern, wie es ihr selbst in ihrer Anfangszeit im Kloster gegangen war. Aber Lucrezia war unter ganz anderen Umständen hierher gekommen als sie – das durfte sie nicht vergessen.
»Prato ist eine vitale, lebendige Stadt, und obwohl auch wir manchmal nach draußen gehen, um Kranke zu pflegen oder andere karitative Dienste zu verrichten, scheint mir, dass es zu früh für dich war, so schnell nach deinem Eintritt den Schutz der Klostermauern schon wieder verlassen zu dürfen. Mir scheint, dies hat den Eindruck bei dir erweckt, das dir vorgegebene Schicksal möglicherweise in die eigene Hand nehmen zu können. Ich mag alt sein, kann mich aber immer noch genau daran erinnern, wie schwer es anfangs für mich war, mich ans Klosterleben zu gewöhnen. Ich weiß noch, dass ich wünschte, es gäbe einen Ausweg, einen anderen Weg für mich.«
Lucrezia sah, wie ein alter Schmerz über die runzligen Züge der Nonne huschte. Sie rückte ein wenig näher an sie heran.
»War es ein Unglück, das deine Familie heimsuchte, so wie bei uns?«, erkundigte sich Lucrezia mitfühlend.
»Ja«, antwortete Schwester Pureza, ohne zu zögern. »Ein Unglück. Aber ich fand eine Zuflucht, hier, bei den guten Nonnen von Santa Margherita. Zuerst wollte ich nicht, ich sträubte mich. Aber wen Gott in seine Klöster ruft, der findet dort auch irgendwann die Geborgenheit und Sicherheit, die nur solche Orte zu bieten haben. Wenn du die Welt jenseits der Klostermauern erst einmal losgelassen hast, dann wirst du feststellen, wie reich, wie erfüllend ein spirituelles Leben ist.«
Lucrezia ließ den Kopf hängen.
»Die Besuche bei Bruder Filippo haben dich zu sehr belastet. Ich möchte nicht, dass du noch einmal dorthin gehst.«
Lucrezias Blick haftete auf den Steinen vor der Bank, auf denen feuchtes grünes Moos wuchs.
»Aber die Mutter Oberin hat eine Vereinbarung mit Bruder Filippo getroffen. Ich habe nicht das Recht, sie in Frage zu stellen.« Lucrezia gab sich alle Mühe, sich nichts von ihren wahren Gefühlen anmerken zu lassen. »Ich muss tun, was mir gesagt wird, und gehen, wohin der Allmächtige mich schickt, das stimmt doch, oder?«
Schwester Pureza sah, wie bleich die Novizin plötzlich geworden war. Was immer Gottes Wille sein mochte, sie würde nicht zulassen, dass das Mädchen krank und schwach wurde.
»Komm, Schwester Lucrezia. Du hast hart im Garten gearbeitet, dir die nötige Muße zum Ausgleich aber noch nicht gegönnt.«
Schwester Pureza führte Lucrezia zum Krankenflügel. Sie traten über die Schwelle, einen breiten, glattgescheuerten blauen Stein, und gingen zu einer der Pritschen, die an der Wand standen.
»Hinsetzen«, befahl Schwester Pureza und Lucrezia gehorchte. Die Schwester kehrte wenige Augenblicke später mit einem Fläschchen zurück, in dem sich eine trübe, dunkle Flüssigkeit befand.
»Mir ist ganz wirr im Kopf, Schwester«, sagte Lucrezia und ließ sich auf die Pritsche sinken. »Warum hat Gott mich hierher geschickt?«
»Du musst auf den Herrn vertrauen; er weiß, was das Beste für dich ist. Wir sind alle in seiner Hand.«
Schwester Pureza reichte ihr das Fläschchen. »Das ist Baldriansaft mit ein wenig Eisenkraut. Er beruhigt und schenkt einen erholsamen Schlaf.«
Lucrezia zog eine Grimasse, trank die Tinktur aber gehorsam aus. Schwester Lucrezia
Weitere Kostenlose Bücher