Das Bildnis der Novizin
Freund.«
Fra Piero kannte die Neigung seines Freundes zur Übertreibung und ging gar nicht näher auf diese Bemerkung ein. Er verschwand im Atelier, das nun im Licht der Morgensonne lag. Mit einem verwunderten Kopfschütteln betrachtete er die fertigen Skizzen von Lucrezia als Jungfrau Maria und die Holzplatte, auf der Fra Filippo mit dem Thron und den Engelsflügeln begonnen hatte. Nicht einmal die hervorragenden Arbeiten von Fra Giovanni dem Dominikaner, Günstling der Medici und beliebt bei der Geistlichkeit, konnten sich damit messen. Keiner vermochte die Schönheit von Gottes Geschöpfen derart zu zelebrieren wie Filippo.
»Ist das die Arbeit für die Medici? Ist das der Grund, warum unser Freund Ser Francesco noch einmal hergekommen ist?«
Fra Filippo nickte.
»Du hast dich selbst übertroffen, Filippo. Aber du wirst uns alle ins Unglück stürzen, wenn du nicht vorsichtig bist.«
Der Maler schaute auf die Skizze in der Hand des Prokurators und verspürte wieder einmal ein Gefühl der Entrücktheit, als befände er sich nicht auf dieser Welt, sondern in einer anderen, höheren.
»Lucrezia Buti«, flüsterte Fra Filippo ehrfürchtig. »Noch nie bin ich einer Frau begegnet, die mich zu solchen Höhenflügen anspornte.«
»Das Mädel ist eine Novizin!«, warf Fra Piero tadelnd ein.
»Das weiß ich doch! Ich bin nicht blöd! Ich habe ihr bereits gesagt, dass ich ihr nicht länger die Beichte abnehmen kann – das musst du für mich machen, Piero.«
Der Prokurator schnappte nach Luft.
»Dann habe ich also recht.«
»Ach, es ist viel schlimmer«, stöhnte der Mönch. »Wenn ich ihr nahe bin, dann verändert sich meine Welt: das Licht, die Farben, die ganze Atmosphäre. Alles, was ich tue, was ich sage, ich denke immer nur an sie. Wo ich auch gehe und stehe, sehe ich ihr Gesicht vor mir.«
»Um Himmels willen, Filippo, jetzt reiß dich zusammen!«, rief der Prokurator erschrocken. »Nimm dir eine Frau, wenn du unbedingt eine brauchst, aber lass die Finger von der Novizin! Ich bitte dich, mein Freund, du darfst sie nicht wiedersehen. Jedenfalls nicht hier, wo du in Versuchung geraten könntest. Dafür steht zu viel auf dem Spiel. Bedenke, was du verlieren könntest!«
Fra Filippo bedachte ihn mit einem Blick voll Zorn und Verwirrung.
»Der Propst hat sich erst gestern bei mir darüber beschwert, dass du mit den Fresken nicht vorankommst«, sagte Fra Piero. »Inghirami mag auch seine geheimen Gelüste haben, aber er ist nicht dumm, vor allem wenn es um Kirchenpolitik geht. Ich würde dir raten, deine Zeit lieber darauf zu verwenden, ihn zu beschwichtigen, als hinter den Röcken einer Novizin herzujagen.«
»Was für geheime Gelüste? Davon habe ich noch nie etwas gehört, außer dass er ein Geizhals ist, wenn es um die Verteilung von Lebensmitteln an die Bedürftigen geht.«
»Ich habe es zum ersten Mal in Montepulciano gehört, Filippo. Es gibt dort Männer, die behaupten, er habe sie angesehen, wie ein Mann eine Frau ansieht. Das sind bis jetzt nur Gerüchte, aber du siehst, dass einen selbst Gerüchte in Schwierigkeiten bringen können. Sei also vorsichtig, Filippo. Selbst meine Hilfsbereitschaft hat Grenzen. Die Hilfsbereitschaft der Medici hat Grenzen.«
Fra Piero schüttelte den Kopf. Sein Blick fiel auf ein kleines Holzbild, das er zuvor übersehen hatte. Es war zur Wand gedreht. Auf der Rückseite stand O. de V .
»Ist das de Valentis Auftrag? Ottavio hat erst gestern zu mir gesagt, er könne es kaum erwarten, das Bild seiner Frau zu überreichen.«
Der Prokurator nahm das Bild und drehte es um. Da war es wieder, das Gesicht der Novizin. Ein leises Lächeln umspielte ihre Lippen, deren Rot vom Rot in der Krone der Madonna hervorgehoben wurde.
»Großartig, einfach herrlich, Filippo. Aber warum steht es immer noch hier? Warum hast du es Valenti nicht gebracht?«
»Weil ich mich nicht davon trennen kann«, gestand der Mönch zerknirscht. »Ich kann es nicht ertragen, es nicht mehr in meiner Nähe zu haben.«
»Ach, mein Freund«, sagte der Prokurator mitfühlend, »ich mache mir große Sorgen um dich. Ehrlich, ich bitte dich, lass das Mädchen nicht mehr zu dir ins Atelier kommen.«
Schweren Herzens machte sich Fra Filippo an diesem Nachmittag auf den Weg ins Kloster, um dort eine Lesung zu halten. Vor dem Tor blieb er stehen und atmete tief durch. Er rief sich all die Gründe ins Gedächtnis, aus denen Lucrezia keinesfalls mehr seine Werkstatt betreten dürfe: Sie war Novizin, er war
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