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Das Bildnis der Novizin

Titel: Das Bildnis der Novizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurie Albanese Laura Morowitz Gertrud Wittich
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welchem Vorwand wollt Ihr nach meiner Schwester schicken lassen?«
    »Der Prokurator hat das bereits getan, Schwester Lucrezia. Er hat einen Brief an die Äbtissin geschrieben und sie gebeten, Spinetta ebenfalls in den Palazzo zu schicken. Aber natürlich wird er dafür sorgen, dass sie stattdessen hierher zu mir gebracht wird, wo ihr beide unter meinem Schutz steht. Als Kaplan des Klosters habe ich das Recht und die Pflicht dazu. Und so klein mein Heim auch ist, ist doch genügend Platz, um euch separate Räumlichkeiten zu überlassen. Alles hat seine Ordnung.«
    »So viele Lügen«, sagte Lucrezia. »Das ist eine Sünde.«
    »Die erste Sünde hat der Generalabt begangen«, sagte der Maler erregt. Er holte tief Luft. »Wenn er fort ist, kannst du wie geplant deinen Pflichten nachkommen. Wer soll schon erfahren, dass du hier warst? Und außerdem: Was sollst du sonst tun, wo er hinter dir her ist? Hier wird dich niemand finden. Hier bist du sicher.«
    Lucrezia nickte. Der Mönch schien zu wissen, was er tat und die Sache vollkommen in die Hand genommen zu haben.
    »Nun, wenn Spinetta auch wirklich kommt …«, sagte sie. »So lange ich nicht hier mit Euch allein bin, Bruder Filippo.«
    Der Mönch nickte brüsk. Er wollte vor allem eins: Lucrezia sollte wissen, dass er ihre Ehre mit allen Mitteln verteidigen würde. Er trat vor die Staffelei und tat, als würde er die kniende Madonna studieren.«Ich werde natürlich weiterarbeiten müssen, während du hier bist.« Aus den Augenwinkeln sah er, wie Lucrezia den Blick durch das Atelier schweifen ließ und dabei nervös an ihrem Knoten nestelte. »Bitte, Schwester Lucrezia, setz deinen Schleier auf, dann wirst du dich wohler fühlen.«
    Lucrezia wusch sich anschließend in der Schlafkammer des Malers, benutzte seinen Becher, um sich mit ein wenig Wein die Zähne zu reinigen, und kämmte sich dann mit den Fingern das Haar. Daraufhin verstaute sie es sorgfältig unter ihrem Schleier. Ihre Schuhe konnte sie nirgends entdecken, deshalb ging sie barfuß über den mit Binsen bestreuten Boden in die Küche zurück.
    »Schwester, ich habe Eure Schuhe gerade geputzt«, rief Rosina aus. Sie flitzte durch die Küchentür nach draußen und brachte die Schuhe herein. Als Lucrezia kurz darauf ordentlich angezogen, das wunderschöne blonde Haar sorgfältig unter ihrem Schleier verborgen, wieder ins Atelier trat, saß der Maler an seinem Tisch und betrachtete eine Skizze.
    Ohne sie anzusehen, sagte er: »Kennst du eigentlich die Lebensgeschichte des heiligen Stephanus, Schwester? Es war ein Leben voller Leid und Zweifel, aber auch voller Abenteuer.«
    Lucrezia trat näher und der Maler deutete auf die Skizze und erklärte ihr die Szene, die er für das Domfresko vorgesehen hatte.
    »Hier, die Steinigung des Heiligen.« Er zeigte auf eine Gruppe von Männern mit wütend ausholenden Armen, in einer Ecke die zusammengekauerte Gestalt des Heiligen. »Und hier die Beerdigung. Das dort sind seine Jünger, die bei der Leiche knien.«
    Sie hatte von Anfang an großes Interesse an seiner Arbeit und auch Sachverständnis gezeigt. Wo sie schon einmal hier war, wollte Fra Filippo seine private Welt, seine Visionen mit ihr teilen.
    »Wenn ich die Beerdigung male, werde ich an alles Traurige denken, das ich in meinem Leben erlebt habe«, erklärte er und blickte dabei ihr zartes Profil an. »Ich muss alle Sorgen, alle Glaubenszweifel, die ich habe, in meine Kunst fließen lassen. Nur so ist es mir möglich, die Menschlichkeit im Leben des Heiligen zu malen.«
    Lucrezia schaute ihn überrascht an.
    »Wann habt Ihr denn Euren Glauben verloren, Bruder Filippo?«, fragte sie leise.
    Der Mönch blickte zu Boden. »Es gibt dunkle Momente in jedem Leben, Schwester Lucrezia. Du bist noch jung, aber du wirst das noch verstehen lernen.«
    »So jung wie Ihr glaubt, bin ich gar nicht mehr«, widersprach sie. »Seit dem Tod meines Vaters bin ich sehr gereift. Zumindest habe ich dieses Gefühl.«
    Sie machte eine verlegene Geste und dabei rutschte ihr Ärmel zurück und man konnte ihre Blutergüsse sehen. Der Mönch streckte die Hand aus, als wollte er sie berühren, doch sie wich zurück.
    »Erzählt mir aus dem Leben des heiligen Stephanus«, bat sie rasch. »Bitte.«
    Fra Filippo räusperte sich und begann mit warmer, selbstbewusster Stimme aus dem Leben des Heiligen zu erzählen. Tatsächlich war es die Stimme, die er immer bei der Messe benutzte.
    »Er war der erste Märtyrer. Aber nach seinem Tode hat er

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