Das Bildnis der Novizin
erst einmal gesehen, Monsignore, doch ich versichere Euch, dieses Bild wird ihrer wahren Schönheit nur ansatzweise gerecht.« Ottavio legte seinen in kostbare Seidenstoffe gehüllten Arm um die Schultern des Geistlichen. »Teresa behauptet steif und fest, das Bild besitze wundersame Kräfte. Sie ist davon überzeugt, dass dieses Bild – und das Mädchen selbst – ihr das Leben gerettet haben. Sie wäre nach der Geburt beinahe gestorben. Das ganze Gesinde glaubt das. Sie nennen das Bild Wunderreiche Madonna .«
De Valenti schob seine Kappe zurück und kratzte sich am Schädel.
»Meine Frau hat mir vier Töchter und drei Erben geschenkt, doch hat sich der Teufel alle unsere Söhne geholt, bevor sie ihren ersten Atemzug tun konnten. Nur dieser hier hat überlebt. Wenn meine Frau dies für ein Wunder hält, wer bin ich, ihr zu widersprechen?«
Mit diesen Worten betrat Ottavio das Gemach seiner Gattin und fand diese, an zahlreiche kostbare Kissen gelehnt, im Bett sitzend vor. Er küsste sie liebevoll auf die Wange. Sie lächelte.
»Ottavio, weißt du, wo unsere Novizin bleibt?«, erkundigte sie sich besorgt. »Sie wollte doch gestern Abend kommen.«
»Ich habe bereits an die Äbtissin geschrieben.« Der Kaufmann ließ sich auf der Bettkante nieder und ergriff die Hand seiner Frau. »Heute früh kam die Antwort, dass sich ihre Ankunft ein wenig verzögert. Aber nur für ein, zwei Tage, meine Liebe. Dann kommt sie gewiss.«
Der Generalabt, der dies gehört hatte, wurde zornesrot.
»Wie? Die Novizin? Die Jungfrau aus dem Bild?«
Teresa de Valenti nickte lächelnd.
»Mein Mann ist so gut zu mir. Zu uns allen. Der Herr hat uns überreich gesegnet, und nun haben wir auch noch unsere eigene wunderreiche Madonna . Ist es nicht ein gutes Omen, dass sie hier unter uns weilt, Monsignore?«
»Bitte, Bruder Filippo, lasst Euch durch mich nicht von Eurer Arbeit abhalten«, sagte Lucrezia, nachdem sie sich ein wenig von dem intensiven Blickwechsel erholt hatte. »Ich werde einfach hier sitzen und Euch zusehen. Wenn Ihr vielleicht etwas hättet, womit ich meine Finger beschäftigen könnte?«
Fra Filippos Blick schweifte durch seine Werkstatt und blieb am Lavendel hängen, den er vor zwei Wochen aus dem Klostergarten geholt hatte. Die Pflanzen waren nun getrocknet und konnten zu Farbe verarbeitet werden.
Er machte ein wenig Platz auf seinem langen Arbeitstisch, holte die Pflanzen, eine Holzschale und einen Stößel und richtete alles für Lucrezia her. Diese nahm sich einen Stuhl und machte sich mit flinken Fingern an die Arbeit. Sie löste die Kerne und sammelte sie in der Schale. Dabei hörte sie Fra Filippo zu, der ihr mehr über die geplanten Domfresken erzählte.
»Und dann ist da natürlich noch das Leben von Johannes dem Täufer«, erklärte er. »Er ist der Schutzpatron der Wollgilde von Prato. Es wird eine Geburtsszene geben, dann ein Bild davon, wie er sein Elternhaus verlässt, und schließlich den Moment, als man König Herodes seinen Kopf auf einem Tablett überreicht. Viele Kirchenpatrone haben mir Geld dafür gegeben, dass ich ihre Gesichter in die Bankettszene mit einbeziehe. Man sagt, wenn ein Patron in einem Gemälde, das der Verherrlichung Gottes dient, verewigt wird, ihn das dem Himmel ein ganzes Stück näherbringt.«
Seine Stimme verklang und er musterte konzentriert ein Stück leeres Pergament. Offenbar überlegte er, wo er die Gesichter der Bankettgäste am besten platzieren sollte. Lucrezia, die sich eifrig mit dem Verlesen des Lavendels beschäftigte, fragte sich unwillkürlich, ob sie jetzt, da ihr Antlitz mehrere Madonnenbilder zierte, auch dem Himmel ein ganzes Stück nähergekommen war.
»Ist das wie eine Art Absolution?«, erkundigte sie sich leise. »Wenn man auf einem religiösen Gemälde abgebildet wird? Ist es das, was einen dem Himmel näherbringt?«
Der Mönch nickte abwesend.
»Gewiss. Man kann sich entweder von bereits begangenen Sünden loskaufen, indem man der Kirche Geld gibt, oder man erkauft sich Nachsicht für künftige Fehltritte, indem man sich in einem Gemälde verewigen lässt. So heißt es zumindest in Rom«, fügte er mit einem Seitenblick auf Lucrezia hinzu.
Lucrezia dachte über seine Antwort nach. Sie fragte sich, ob Fra Filippo wohl so nett wäre, auch Spinetta in eine seiner Fresken aufzunehmen. Spinetta war zwar keine Sünderin, aber etwas Hilfestellung auf dem Weg zum Himmel konnte sicher nicht schaden.
»Es ist schon nach der Sexta«, sagte Fra Filippo nach
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