Das Bildnis der Novizin
sowohl den Vater als auch den Sohn erblickt. Das war sein Lohn für seinen standhaften Glauben bis in den Tod.«
Er hatte das Leben des Heiligen ausführlich studiert und erzählte Lucrezia nun alle möglichen Geschichten und Legenden. Er berichtete ihr von der Anklage wegen Blasphemie, von der öffentlichen Steinigung, dem prächtigen Begräbnis.
Er kramte in seinen Pergamentbögen und holte einen der größten hervor. Stumm befestigte er ihn auf einer Holzplatte. Dann begann er mit halb geschlossenen Augen, vollkommen auf seine Arbeit konzentriert, zu malen.
Lucrezia setzte sich unweit von ihm auf einen Hocker und beobachtete ihn dabei. Sie bewunderte seinen sicheren Strich, die Art, wie er alles um sich herum vergaß, selbst ihre Anwesenheit. Ihr Vater war genauso gewesen. Auch er hatte sich vollkommen in ein Rechnungsbuch oder in Stoffmuster vertiefen können, nur um Stunden später wieder aufzutauchen, als hätte er sich an einem weit entfernten Ort aufgehalten, einem Ort, der ihr verschlossen war.
Aber in der Werkstatt fühlte sie sich dem Maler dennoch nahe. Sie konnte zusehen, wie er dachte, glaubte zu verstehen, was er beabsichtigte, während seine große Hand flink übers Pergament fuhr, während er murmelnd kurze Notizen an die Ränder kritzelte.
Schon wenig später hatte er zwei neue Figuren entworfen, die Köpfe perfekte Ovale, der Faltenwurf der Gewänder von großer Natürlichkeit und gleichzeitig Dramatik. Der Maler richtete sich auf, lehnte das Pergament an seine Farbtöpfe, trat einen Schritt zurück und begutachtete kritisch seine Arbeit.
»Gut.« Er nickte zufrieden. Dann nahm er einen Schluck Wein aus einem Keramikkrug. Er hielt ihn auch ihr hin, doch sie schüttelte den Kopf.
»Ich weiß noch, wie Ihr mir im Beichtstuhl die Erlaubnis gabt, nach Schönheit zu trachten«, zwang sie sich, ihm zu gestehen, Worte, die sie schon viele Male geübt hatte. »Ich kann Euch gar nicht sagen, wie sehr mich das erleichtert hat. Ich bin Euch zutiefst dankbar, Bruder.«
Der Mönch lächelte. Sie sahen sich an, bis Lucrezia errötend den Blick abwandte.
»Und natürlich danke ich Euch auch für Euren Schutz«, sagte sie.
Der Generalabt, der nach dem rauschenden Fest zur Feier der Geburt des Valenti-Erben im Palazzo übernachtet hatte, erhob sich müde und verkatert und machte sich auf den Weg zum Frühstückssalon, wo er bereits vom Hausherrn erwartet wurde. Man ließ sich Zeit, frühstückte ausgiebig und erörterte Politik. Der Generalabt erkundigte sich behutsam nach der Position des Kaufmanns in der Papstnachfolge, eine Frage, die mit den zunehmend beunruhigenden Gerüchten über Papst Kalixts Erkrankung immer dringlicher wurde.
»Ich persönlich favorisiere den Erzbischof von Rouen«, erklärte Saviano. »Die Medici haben schon genug Einfluss hier in dieser Gegend. Ich finde nicht, dass sie sich auch noch den Heiligen Stuhl in die Tasche stecken sollten.«
»Aber bedenkt doch Piccolominis außerordentliches diplomatisches Geschick!«, argumentierte de Valenti. »Als ehemaliger Bischof von Siena wird er sicherlich mehr Interesse an uns haben, uns hier mehr nützen als d’Estouteville, der immerhin Franzose ist.«
Der Generalabt bedachte diese Äußerung mit einem missbilligenden Stirnrunzeln, und de Valenti beeilte sich, als zuvorkommender Gastgeber, rasch das Thema zu wechseln. Er bot seinem Gast mehr Wein an und sagte: »Wenn Monsignore die Güte hätten, vor Eurer Abreise noch einen letzten Blick auf meinen neugeborenen Sohn und Erben zu werfen? Ein letzter Segen?«
Generalabt Saviano machte eine gönnerhafte Verbeugung und folgte seinem Gastgeber durch das Hauptgeschoss und die große Eingangstreppe hinauf in den ersten Stock. Das Treppenhaus war mit Gobelins und Fresken geschmückt, auf denen Szenen aus dem Alten Testament zu sehen waren. Ottavio grüßte das umfangreiche Gesinde, das seiner Frau zur Verfügung stand, mit großer Aufgeräumtheit. Achtungsvoll wurde den hohen Herren Platz gemacht. Am Eingang zur Geburtskammer blieb der Kaufmann kurz stehen und machte seinen illustren Gast auf das Bild aufmerksam, das ihm Fra Filippo für seine Frau gemalt hatte. Doch dies war überflüssig; dem Generalabt war das Antlitz der Jungfrau bereits ins Auge gefallen.
»Ottavio, wie erklärt Ihr Euch das?«, fragte Saviano erzürnt. »Das ist doch die Novizin aus dem Kloster!«
De Valenti nickte stolz und verschränkte zufrieden die Hände vor seinem prallen Bauch.
»Ich habe die Novizin zwar
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