Das Bildnis der Novizin
beiden durchgekämpft und flüsterte Lucrezia ins Ohr: »Es ist am besten so, Liebes. Möge Gott dich heute Nacht behüten.«
Dann ließ sich die Alte in den Strom der anderen zurückfallen und Paolo tauchte an Lucrezias Seite auf. Seine magere Hand griff nach ihrer, und er zog sie hinter sich her. Stumm verließ sie Spinetta und die anderen, folgte dem Jungen, der sich geschickt einen Weg durch die Menge bahnte. Am Rand des Platzes blieb er kurz stehen und schaute zu ihr auf, lächelte sie breit an, so dass sie seine Zahnlücken sehen konnte.
»Schwester«, sagte er, »Ihr habt Glück, dass Ihr in den feinen Palazzo des Signore de Valenti dürft. Da kann man so viel essen, wie man will, und es gibt immer noch mehr.«
Lucrezia musste lächeln, obwohl ihr eigentlich nicht danach zumute war. Sie folgte Paolo durch die engen Gassen voller Leute, die alle in die Gegenrichtung, zur Kirche hin, strebten. Sie bedauerte, die Feier zu versäumen, hatte sie doch als Kind solche Ereignisse geliebt und zusammen mit ihren Schwestern und ihren Eltern an vielen davon teilgenommen.
Aber dafür war jetzt keine Gelegenheit. Sie musste aufpassen, dass sie Paolo nicht aus den Augen verlor, der ihre Hand losgelassen hatte und flink vor ihr herlief.
In diesem Moment erspähte auch Fra Filippo inmitten des Lärms und des Gedränges Lucrezia. Sie eilte vom Dom fort, und Paolo führte sie.
»Schwester Lucrezia!«, rief er.
Lucrezia wandte sich um und sah, wie sich der Mönch durch die Menge zu ihr durchkämpfte.
»Los, weiter, Paolo«, befahl sie, ohne es wirklich zu wollen. »Signora de Valenti wartet schon auf mich.«
»Schwester Lucrezia, Paolo«, rief Fra Filippo, »so wartet doch!«
Paolo blickte fragend zu Lucrezia auf. Seine Schwester war die Küchenmagd des Mönches, und beide Kinder waren es gewohnt, dessen Anweisungen Folge zu leisten.
Aber Lucrezia eilte weiter. Als die schweren Schritte des Mönches sie eingeholt hatten, musste sie an den Generalabt denken, an seinen festen Griff, seine bösen Worte. Sie fuhr herum und funkelte den Maler an.
»Bleibt mir vom Leib, Bruder Filippo«, sagte sie. »Bitte, lasst mich in Ruhe.«
Sie machte eine Bewegung, als wollte sie ihn verscheuchen, und dabei rutschte ihr Ärmel zurück, und er sah die Blutergüsse, die der Generalabt dort hinterlassen hatte.
»Du bist verletzt!« Der Mönch wollte nach ihr greifen, aber sie riss ihren Arm weg.
»Lucrezia, ich bitte dich, was immer auch geschehen sein mag, du musst mir erlauben, dir zu helfen.«
»Mir helfen?« Lucrezia ging weiter, Paolo ebenfalls. Der Mönch rannte neben ihnen her. »Euch habe ich es zu verdanken, dass ich nun vor dem Generalabt fliehen und mich vor ihm verstecken muss. Ist Euch klar, was er von mir denkt?«
»Lucrezia.« Fra Filippo streckte den Arm aus und griff, über Paolo hinweg, abermals nach Lucrezias Hand. »Um Himmels willen, so erzähle mir doch, was geschehen ist.«
Lucrezia blieb nach Atem ringend stehen und entriss ihm ihre Hand.
»Ich bin auf dem Weg zum Hause von Ottavio de Valenti«, erklärte sie. »Ich werde dort bleiben und mich um die Signora und das neugeborene Kind kümmern, bis – bis ich wieder ungefährdet ins Kloster zurückkehren kann.«
»Ungefährdet?«
»Ich werde bleiben, bis der Generalabt wieder abgereist ist.«
Fra Filippos Ohren glühten, ein mächtiger Zorn wallte in ihm auf.
»Aber Saviano ist heute Abend bei den Valentis zu Gast«, knurrte er. »Ein großes Festessen, zu Ehren des neugeborenen Sohnes und Erben.«
Der Lärm der Feiernden nahm zu. Eine Gruppe Nonnen näherte sich singend.
»Wenn er dich bereits angegriffen hat, dann darfst du nicht dorthin gehen«, sagte er hastig. Er wandte sich an Paolo, der pflichteifrig auf den Fußballen wippte.
»Paolo.« Der Mönch legte seine Pranken auf die schmalen Schultern des Jungen. »Ich habe es mir überlegt. Du führst Schwester Lucrezia zu meiner Werkstatt. Deine Schwester ist bereits dort. Bitte Rosina, bei der Schwester zu bleiben, und sag ihr, dass ich ihr dafür ein extra Silberstück geben werde. Hast du das alles verstanden?«
»Nein.« Lucrezia schüttelte den Kopf. »Äbtissin Bartolommea und Schwester Pureza wollen, dass ich zu den Valentis gehe. Und die Signora hat nach mir geschickt.«
Der Maler war sichtlich beunruhigt und richtete sich nun zu seiner vollen Größe auf.
»Ich kenne den Generalabt, Schwester Lucrezia, und wenn die Nonnen es für richtig halten, dich vor ihm zu verstecken, dann kannst du
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