Das Bildnis der Novizin
sah sie die Umrisse eines schlichten Kreuzes. Sie fragte sich, ob der Mönch schon von der Feier heimgekehrt sei und ob Rosina wohl noch in der Küche war. Sie wollte eigentlich nachsehen, war aber so müde, dass sie sich kurzerhand wieder in die weichen Kissen zurücksinken ließ. Der Generalabt war weit und sie war hier bei Fra Filippo, dem Kaplan ihres Klosters, der ihr Zuflucht gewährte.
Als Lucrezia am nächsten Morgen auf Zehenspitzen in die Küche schlich, war sie froh, die kleine Rosina in ihrem ausgewaschenen blauen Kleid mit weißer Leinenschürze zu sehen.
»Guten Morgen.« Rosina hatte einen riesigen Holzlöffel in der Hand und aus ihren Schürzentaschen schauten jede Menge Lappen und Tücher.
Nachdem Lucrezia ein Stück Brot von dem Mädchen entgegengenommen hatte, schob sie den Vorhang, der die hinteren Räume vom Atelier des Malers abteilte, ein wenig beiseite und spähte in die Werkstatt. Die Morgensonne schien herein und alles funkelte und strahlte.
Der Mönch stand mit einem Pinsel in der Hand vor einer Staffelei. Als er sie hörte, drehte er sich zu ihr um.
»Du hast lange geschlafen, Schwester Lucrezia«, sagte Fra Filippo und strahlte sie an.
»Ich muss gehen«, rief sie aus. »Man erwartet mich doch im Palazzo der Valentis!«
»Keine Sorge.« Fra Filippo hielt eine Hand unter seinen tropfenden Pinsel. »Ich habe Nachricht geschickt, dass du aufgehalten wurdest.«
»Aber welchen Grund habt Ihr angegeben?«
»Dass es dir nicht gut geht.« Der Maler musterte ihr angespanntes, müdes Gesicht, die dunklen Schatten unter ihren Augen. »Was ja zu stimmen scheint.«
»Ihr habt gesagt, dass ich hier bin?«, fragte sie erschrocken und wich einen Schritt zurück. Erst jetzt wurde ihr klar, dass ihr Kopf unbedeckt war.
»Nein.« Der Mönch schaute weg. »Die Nachricht stammt vom Prokurator, Fra Piero. Wo du bist, wird nicht erwähnt, nur dass du wahrscheinlich erst morgen oder übermorgen kommen kannst.«
»Also weiß der Prokurator, dass ich hier bin?« Lucrezia warf einen Blick hinter sich, auf den dünnen Vorhang, der die Werkstatt von der Küche trennte. Rosina legte soeben Holz nach. Verlegen hob sie die Arme und wand ihr offenes Haar zu einem Knoten. »Aber ich habe Euch doch gebeten, niemandem zu sagen, dass ich hier bin!«
»Fra Piero ist ein guter Freund, dem ich vertraue. Wir sind uns einig, dass wir dich vor dem Generalabt beschützen müssen. Sobald Saviano den Palazzo verlassen hat, kannst du dorthin gehen. Das versteht sich von selbst.«
Lucrezia wandte den Blick ab, das Haar nervös verknotend.
»Es war ein Missverständnis«, versuchte der Mönch zu erklären. Er machte sich Vorwürfe, weil er sich so vom Generalabt hatte überrumpeln lassen. Er hätte ihn nicht unangemeldet in seine Hütte lassen dürfen. Und vor allem hätte er ihn nicht gehen lassen dürfen, ohne wirklich klarzustellen, dass er Lucrezia nicht angefasst hatte.
»Er hat die Skizzen für die Madonna gesehen und das Kleid, das du während meiner Arbeit getragen hast. Da hat er die falschen Schlüsse gezogen.«
»Ich schäme mich.« Lucrezia wandte sich ab. Rosina werkelte in der Küche herum. Flüsternd gestand sie: »Er glaubt, Ihr hättet mir die Unschuld geraubt, Bruder Filippo. Bitte, Ihr müsst ihm erklären, dass dem nicht so ist.«
»Das habe ich bereits getan. Sehr energisch sogar. Aber der Generalabt ist kein Mann der Vernunft.« Von dort, wo er stand, konnte Fra Filippo das Vellum sehen, auf das er ihr Gesicht für das Medici-Altarbild skizziert hatte. Er fand, dass er sie wirklich gut getroffen hatte. »Irgendwann wird, mit Gottes Hilfe, die Arbeit, bei der du mir geholfen hast, fertig sein. Das Altarbild wird nach Neapel gebracht und dem König übergeben werden. Und wenn es dann mit Lob und Ehren überhäuft wird, dann wird auch der Generalabt seinen Irrtum einsehen. Er ist ein aufbrausender Mann, aber selbst aufbrausende Männer kommen mit der Zeit und Gottes Hilfe einmal zur Vernunft.«
»Und bis dahin?«
»Bis dahin stehst du unter dem Schutz des Prokurators. Eine von ihm unterzeichnete Nachricht setzt jede Anweisung der Äbtissin außer Kraft.«
»Aber es schickt sich nicht«, beharrte Lucrezia. »Ihr wisst, dass ich nicht allein hier bei Euch bleiben kann.«
Fra Filippos Züge verfinsterten sich.
»Ich weiß. Auch daran habe ich bereits gedacht. Rosina wird hierbleiben, bis Spinetta eingetroffen ist. Es geht ja nur um ein, zwei Tage, bis der Generalabt abgereist ist.«
»Und unter
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