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Das Bildnis der Novizin

Titel: Das Bildnis der Novizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurie Albanese Laura Morowitz Gertrud Wittich
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ohne sich weiter als eine Armeslänge von ihr zu entfernen.
    »Ich hätte dich nicht allein lassen dürfen«, sagte er. Er wusste, die Wut würde kommen; sie war schon da, schwelte unter der Oberfläche seiner ruhigen Fassade. Doch noch größer als seine Wut war sein Bedürfnis, sie zu beschützen, zu behüten, sich ihrer anzunehmen. Sie nicht aus den Augen zu lassen, ihren Schmerz zu stillen.
    »Wo ist meine Schwester?«, fragte sie beklommen. Hinter seinem Rücken flammte das Feuer auf und warf einen orangefarbenen Schein auf ihr Gesicht. »Warum kommt sie nicht? Hast du mich angelogen?«
    »Ich versichere dir, Lucrezia, ich habe dich nicht belogen. Ich würde dich nie anlügen.«
    Ihre Augen blickten ihn mit solchem Schmerz, mit solcher Sehnsucht an, dass etwas in ihm sich löste.
    »Ich könnte dich gar nicht anlügen, Lucrezia.« Er streckte die Hand aus, als wollte er ihr Kinn umfassen, so wie sie es sich erträumt hatte. »Ich liebe dich.«
    Sie riss erschrocken die Augen auf.
    »Es ist die Wahrheit, Lucrezia. Ich weiß es mit einer solchen Gewissheit, wie ich noch nie etwas in meinem Leben gewusst habe. Ich liebe dich. Fast hätte ich dir das schon im Beichtstuhl gestanden, Lucrezia. Ich würde lieber sterben, als dich leiden zu sehen. Ich liebe dich so sehr. Es tut mir so leid, dass ich dich hier allein gelassen habe.«
    Lucrezia schob seine Hand weg und presste die ihre auf ihren Mund, um ihr Schluchzen zu unterdrücken.
    »Warum sagt Ihr das jetzt, Bruder Filippo? Warum jetzt, wo ich ruiniert bin?«
    Seine blauen Augen flammten auf wie das Feuer im Kamin.
    »Du bist nicht ruiniert, Lucrezia. Deine Reinheit ist erst dann verloren, wenn du sie willig aufgibst.« Dies waren die Worte des heiligen Augustinus. »Keuschheit ist nicht allein eine Tugend des Körpers, sondern auch des Geistes. Sie ist nicht verloren, solange man sie nicht freiwillig aufgibt. Das hat der heilige Augustinus in Rom gesagt, und dies lehrt uns auch der Orden.«
    Sie wollte glauben, was er sagte, konnte es aber nicht.
    »Ihr habt es selbst gesagt, Bruder Filippo. Ihr habt gesagt, es ist mein Gesicht, Ihr habt gesagt …« Die Worte des Generalabts fielen ihr wieder ein, und sie vergrub das Gesicht in den Händen. »Selbst er hat es gesagt. Er hat gesagt, meine Schönheit sei Teufelswerk.«
    Fra Filippo schüttelte den Kopf.
    »Deine Schönheit ist ein Gottesgeschenk«, widersprach er laut. »Zur Hölle mit dem Generalabt. Und zur Hölle mit der Kirche, die aus arroganten Männern wie ihm besteht.«
    »Hör auf, hör auf!«, schrie Lucrezia. »Sag so etwas nicht!«
    Der Mönch versuchte sie an sich zu ziehen, aber sie wandte sich ab.
    Fra Filippo suchte das feinste Handtuch heraus, das er besaß, und füllte eine Schüssel mit Wasser aus der Zisterne neben dem Herd. Er sprach einen Segen darüber, bevor er es Lucrezia reichte.
    »Meine Liebe, du musst dich waschen, bitte.«
    Er suchte die dicke, warme, weiße Kutte hervor, die er in den kältesten Wintertagen trug, und brachte sie ihr.
    »Ich warte in der Werkstatt. Ruf mich, wenn du fertig bist.«
    Lucrezia blieb allein in der warmen Küche zurück. Sie nahm das Tuch, tauchte es ins Wasser und begann sich behutsam zwischen den Beinen zu säubern. Sie schaute dabei nicht ihren Körper an; ihr Blick hing an dem Kruzifix über dem Bett. Als sie fertig war, schlüpfte sie in die Kutte des Mönchs. Sie war natürlich viel zu lang und zu weit für sie und bauschte sich auf dem Boden. Sie raffte den Stoff hoch und musste sich seinen Gürtel zweimal um die Hüften wickeln, bevor sie ihn festschnüren konnte. Dann kämmte sie ihr Haar aus und flocht es, wie sie es als Mädchen gewohnt gewesen war. Am Schluss setzte sie sich wieder hin und verharrte reglos.
    So fand Fra Filippo sie, als er wenig später eintrat.
    »Wie soll ich jetzt wieder ins Kloster zurück?«, fragte sie ihn bekümmert.
    »Vielleicht gibt es ja noch eine andere Lösung«, antwortete der Mönch ruhig. Was ihr zugestoßen war, ergab keinen Sinn. Es ergab keinen Sinn, dass sie so schön war und so traurig. Es ergab keinen Sinn, dass er sie so sehr liebte.
    »Und wenn ich nun ein Kind von ihm bekomme?«, fragte sie aufschluchzend.
    »So weit wird es nicht kommen«, widersprach Fra Filippo. »Ich werde nach Schwester Pureza schicken, die weiß, was zu tun ist.«
    »Nein, du darfst es niemandem sagen!«, rief sie. »Er wird sonst alles leugnen und mich in den Schmutz ziehen. Nicht einmal so mächtige Freunde, wie du sie hast,

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