Das Bildnis der Novizin
können eine Frau vor den Lügen seinesgleichen schützen.«
Fra Filippo hatte schon oft von jungen Frauen gehört, denen man die Tugend gewaltsam geraubt hatte und die danach, aus genau demselben Grund wie Lucrezia, nichts zu sagen wagten.
»Du bleibst hier«, befahl der Maler. »Du bleibst hier bei mir und ich kümmere mich um dich.«
»Das ist unmöglich«, widersprach sie voller Kummer. »Bitte versprich mir nichts, was du nicht halten kannst.«
»Aber ich kann das halten, Lucrezia. Nichts ist unmöglich, wenn es Gottes Wille ist.« Er nahm ihre schmalen kalten Hände in seine warmen Pranken und rieb sie zärtlich.
Lucrezias Herz zog sich zusammen.
»Aber es ist falsch«, rief sie, »es ist unmöglich!«
Fra Filippo nahm sie bei den Schultern und ging vor ihr in die Hocke. Er blickte ihr tief in die Augen.
»Was dir angetan wurde, das war falsch«, sagte er. »Aber nicht die Liebe. Liebe kann nicht falsch sein.«
Er blickte ihr ruhig ins Gesicht, und sie begann zu weinen.
»Wirst du für mich beten, Bruder Filippo?«, fragte sie und fiel auf die Knie. »Es ist alles meine Schuld. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Bitte, bete für mich.«
15. Kapitel
Am Montag der vierzehnten Woche nach Pfingsten, im Jahre des Herrn 1456
T opfgeklapper aus der Küche weckte Lucrezia. Sie schlug die Augen auf und blickte zur Decke. Ihr Herz pochte.
Deine Schönheit ist Teufelswerk.
Sie war ruiniert. Sie konnte an nichts anderes mehr denken.
Ich will nur das, was du dem Maler gegeben hast.
Die Worte schnitten wie Messer in ihr Fleisch, Scham und Verzweiflung mischten sich, eine Scham, die sich vor allem auf den Schmerz zwischen ihren Schenkeln konzentrierte, den Blutergüssen an ihrem Hals. Die Worte des Generalabts ließen ihr keine Ruhe, verfolgten sie. Sie meinte noch immer seine harten Hände zu spüren, die an ihrem Körper rissen.
Sie wickelte sich fester in die dicke, weite Kutte, setzte hastig ihren zerknitterten Nonnenschleier auf und schlich dann zur Schlafzimmertür. Es war so früh am Morgen, dass kaum Tageslicht durch die Fenster hereinschien. Der Mönch stand mit dem Rücken zu ihr in der Küche. Er war angekleidet und hatte seine provisorische Bettstatt weggeräumt. Sie sah, dass er ihre Unterwäsche gewaschen und zum Trocknen über den Herd gehängt hatte. Das Wäschestück war zerrissen.
»Guten Morgen«, flüsterte sie. Sie war ganz heiser vom Weinen. »Wo ist meine Schwester? Warum ist sie nicht hier?«
Fra Filippo wandte sich um. Sie wirkte ganz klein und verloren in seiner voluminösen Kutte, mit den vom Schlaf verquollenen Augen und dem unordentlich angelegten Schleier.
»Guten Morgen«, sagte er sanft. »Ich weiß nicht, was sie aufgehalten hat, aber ich bin sicher, sie wird bald hier sein. Wenn nicht, werde ich Fra Piero bitten, sie selbst zu holen.«
Der Bluterguss an ihrer linken Schläfe war graugrün und Schorf bedeckte ihre Unterlippe an der Stelle, wo sie sich gebissen hatte. Sie streckte die Hand aus und ergriff seinen Arm, seinen starken, helfenden Arm. Es war das erste Mal, dass sie in dieser Weise an ihn appellierte.
»Bitte, bleib bei mir, bis sie da ist.« Sie blinzelte, wich seinem Blick aus. Aber sie wiederholte ihre Bitte. »Bitte lass mich nicht allein.«
Er beugte sich vor und drückte einen sanften Kuss auf ihre kühle Stirn, verharrte einen Moment.
»Ich bleibe bei dir, Lucrezia.«
»Und arbeite«, wiederholte sie. »Bitte, du musst arbeiten. Du musst mir etwas Schönes zeigen.«
Er konnte sie lediglich dazu bewegen, etwas Wein und Brot zu sich zu nehmen. Dann suchte Fra Filippo, trotz der frühen Stunde und obwohl es dafür noch nicht hell genug war, seine Skizzen, die Pappelplatten und die Pinsel zusammen, die er für seine Arbeit benötigte. Er tat dies mit langsamen, gemessenen Bewegungen, um sie nicht zu erschrecken. Das Mittelpaneel hatte er hinter einer Staffelei in einer Ecke verwahrt, damit nichts passieren konnte. Nun stellte er es auf die Staffelei und legte sich die Skizze auf dem Nebentisch zurecht.
»Komm und schau«, forderte er sie auf. Sie trat neben ihn und er zeigte ihr seine Entwürfe für die Anbetende Madonna , dem Mittelstück des Medici-Triptychons.
Die auf einer Lichtung kniende Madonna war von einem dichten, wunderschönen Wald umgeben, darüber ein Himmel, bevölkert mit Engeln und Heiligen, die gütig auf die Muttergottes und das auf einem Seidentuch ruhende Kind herabschauten.
»Die Wildnis ist ein Ort der Meditation, der Einkehr,
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