Das Bildnis der Novizin
anderem.
»Schwester Lucrezia?« Dieser scharfe Gestank und da war noch etwas, etwas Nasses, Glitschiges unter seinen Füßen.
Da stimmte etwas nicht.
Der Mönch geriet allmählich in Panik.
Er tastete auf seinem Arbeitstisch herum, bis er eine Kerze gefunden hatte. Er zündete sie an und hielt sie hoch, blickte sich in seiner Werkstatt um, spähte in die Schatten, die sich in den Zimmerecken zusammenballten.
»Schwester Lucrezia? Schwester Spinetta?«
Ein wilder Gedanke schoss ihm durch den Kopf: Lucrezia hatte sich mit dem kostbaren Gewand, das er in seiner Truhe aufbewahrte, aus dem Staub gemacht, hatte ihre Nonnentracht zurückgelassen. Er trat an die Truhe, klappte sie auf. Nein, da lag das Gewand, fein säuberlich zusammengelegt, so wie er es hineingelegt hatte. Ein kalter Schauder überlief ihn.
Er schob den Vorhang beiseite und trat in die Küche. Dabei rutschte er auf einem glitschigen schwarzen Stoffhaufen aus. Auch hier roch es scharf nach Ammoniak. Und nach etwas Anderem, etwas Fremdem, Abstoßendem. Er bückte sich und sah, dass der Stoff Lucrezias Habit war. Daneben lagen, wie ein bleicher Schatten, die zerrissenen Fetzen ihrer Unterwäsche. Als er sie aufheben wollte, drang ein Schluchzen aus dem Schlafzimmer.
»Großer Gott« – er weinte fast -, »großer Gott!« Er stieß die Tür auf und trat ins Schlafzimmer, die Kerze hochhaltend.
»Lucrezia!«
Sie lag reglos, zusammengekauert, auf dem Bett, in eine Decke gewickelt. Als sie seine Schritte, seine geächzten Worte hörte, schrie sie erschrocken auf.
»Geh weg!«, schluchzte sie und rollte sich noch enger zusammen. Fra Filippo vermutete das Schlimmste. Er musste an eine Hure in Venedig denken, deren Gesicht von brutalen Peitschenstriemen gezeichnet worden war.
»Was ist?« Er fiel neben dem Bett auf die Knie, stellte die Kerze auf dem Boden ab. »Was ist passiert? Sag mir doch, was passiert ist!«
Ihre einzige Antwort war ein herzzerreißendes Schluchzen. Sie fand keine Worte, um ihm das Schreckliche zu erzählen, das ihr widerfahren war.
Der Mönch berührte ihre Schulter. Sie zuckte zusammen, entzog sich ihm jedoch nicht. Ihr Körper war wie taub.
»Bitte, schau mich an, Lucrezia, schau mich an.« All seine Zärtlichkeit, all seine Liebe, all seine Leidenschaft, lagen in diesem Satz, Gefühle, die zu äußern er sich streng versagt hatte. Doch nun war ihm alles egal. Inbrünstig betete er: Bitte, Gott, lass sie unverletzt sein, und ich tue alles, was ich kann, um sie zu beschützen und zu lieben.
Er wagte es, sie zu berühren, ihr das verklebte Haar aus dem Gesicht zu streichen. Sie wandte sich ab, doch er konnte ihre heiße Wange sehen. Sie war unversehrt.
»Das alles wegen einer ruinierten Tracht?«, fragte er sanft.
»Nicht die Tracht«, stieß sie erstickt hervor. »Nicht die Tracht! Ich! Ich bin ruiniert!«
Er strich ihr Haar zurück, entblößte ihren Hals und sah die roten Kratzer.
»Was ist das?« Heiße Wut flammte in ihm auf. Mühsam versuchte er sich zu beherrschen. »Bist du ausgegangen? Ist was in der Stadt passiert?«
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf und kehrte ihm den Rücken zu. »Der Generalabt«, sagte sie, und der Rest ihrer Worte ging in neuerlichem Schluchzen unter.
Schlagartig wurde Fra Filippo klar, was er in der Küche gerochen hatte: dieser fremdartige, saure Geruch, der sich mit dem scharfen Gestank von Ammoniak und dem metallischen Geruch von Blut vermischte. Und er wusste nun auch, was passiert war.
»Generalabt Saviano hat dir das angetan?«
Lucrezia hielt sich die Ohren zu.
»Sprich seinen Namen nicht aus«, rief sie. Sie fing an zu zittern. »Mir ist kalt«, wisperte sie. »So kalt.«
Fra Filippo merkte, dass sie unter der dünnen Decke nichts anhatte. Er handelte rein instinktiv. Rasch schob er seine starken Arme unter ihren zarten Körper, wickelte sie noch fester in die Decke und hob sie hoch.
Sie fühlte, wie sie in die Luft gehoben wurde, und fürchtete zu fallen, zu fallen, ins Bodenlose. Panisch schlang sie die Arme um seinen Hals.
»Komm ins Warme«, sagte er sanft. Ihr Gesicht war dem seinen sehr nahe. Er konnte jetzt alles sehen, die zerbissene Unterlippe, den Bluterguss an ihrer linken Schläfe, das schweißnasse Haar. »Komm, ich helfe dir.«
Sie vergrub das Gesicht an seiner Brust und schloss die Augen. Der Mönch trug sie in die Küche und setzte sie sanft auf dem schweren Stuhl ab, der vor dem Kamin stand. Dann legte er Holz nach und fachte die Glut an. All dies tat er,
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