Das Bildnis der Novizin
der Erlösung.«
Er zeigte ihr den kahlen Baum, der links von der Madonna, und den jungen Schössling, der rechts von ihr stehen würde.
»Der kahle Baum ist ein Symbol für den Tod, das Sterben. Der junge Schössling repräsentiert hingegen Fruchtbarkeit, neues Leben.«
Lucrezia fiel bei diesen Worten ein, dass Schwester Pureza einmal erwähnt hatte, welche Pflanze zu einem Abgang führte. Doch ihre Gedanken waren zu wirr, um sich auf den Namen dieser Pflanze zu besinnen.
»Vor der Geburt des Kindes ist Hoffnungslosigkeit. Nach der Geburt ist Erneuerung und Licht«, erklärte der Mönch mit ruhiger, tiefer Stimme. Er zeichnete mit dem Finger die Schultern der Madonna nach, wo das Licht auf sie fallen würde. »Die Jungfrau kniet in Anbetung vor dem Retter. Sie kniet in Demut.«
Beide mussten daran denken, wie Lucrezia am ersten Tage darauf bestanden hatte, ebenfalls kniend für ihn zu posieren. In Demut, so wie die Jungfrau. Und er hatte zärtlich ihr Kinn berührt.
»Ja«, murmelte Lucrezia. Sie war wund zwischen den Schenkeln. Mit aller Kraft versuchte sie, nicht an den Geruch von Blut zu denken, nicht an den schweren Körper des Generalabts, nicht an sein tierisches Stöhnen.
»Und was wird das da?«, fragte sie und deutete auf etwas über den schwungvollen Linien des Hintergrunds.
»Das wird eine kräftige Ulme, an der sich wilder Wein hochrankt.« Er hielt inne, wartete. »Was Wein symbolisiert, weißt du natürlich.«
Rosmarin. Zu viel davon kann zu einem unfreiwilligen Abort führen.
»Wein«, sagte sie langsam. »Wein ist das Symbol für das Blut Christi.« Sie betrachtete die Ulme, deren Äste sich in der Form eines Kreuzes spreizten. »Die Ulme repräsentiert das Kreuz, an dem er starb?«, meinte sie fragend.
»Ja.«Der Maler nickte mit einem traurigen Lächeln. »Ich werde es nie müde, die Madonna zu malen. Die Muttergottes kommt in so vielen verschiedenen Rollen zu uns. Als Himmelskönigin, als demütige Madonna, als Braut Christi, als Verkünderin, als unbefleckte Jungfrau. Sie litt selbst in ihrer Unschuld. Wenn ich sie male, muss sich all das in ihrem Gesicht widerspiegeln: Kummer, Mitgefühl, Reinheit, Liebe.«
Fra Filippo nahm zärtlich Lucrezias kalte Hand.
»Reinheit«, wiederholte er und küsste ihre Fingerspitzen, blickte tief in ihre traurigen Augen. Wie sehr wünschte er sich, ihr den Schmerz nehmen zu können! »Liebe.«
Rosmarin.
»Bruder Filippo, hast du Rosmarin da?«
Er blinzelte verwirrt, ließ ihre Hand aber nicht los.
»Rosmarin«, wiederholte sie. »Ich hätte gerne Brot, gewürzt mit Rosmarin. Wenn das geht. Bitte.«
»Natürlich. Alles, was du willst«, antwortete er und drückte sanft ihre Hand. »Ich sagte dir doch, Lucrezia, die Liebe macht alles möglich.«
»Schwester, ich bin’s, Spinetta. Mach auf!«
Lucrezia machte die Haustür auf und blickte direkt in die funkelnden schwarzen Augen von Paolo. Hinter ihm stand im Schein der Morgensonne Spinetta in ihrer Nonnentracht, das schmale Gesicht bleich und angespannt.
»Spinetta!« Lucrezia griff an dem Jungen vorbei und zog ihre Schwester ins Haus. »Da bist du ja endlich!«
Spinetta warf einen schiefen Blick auf Lucrezias voluminöse weiße Kutte.
»Was machst du hier, Lucrezia? Was ist los? Und warum hast du deine Tracht nicht an?«
»Komm, Spinettina, komm rein.« Lucrezia zog Spinetta am groben Stoff ihrer Nonnentracht ins Haus. »Du auch, Paolo.«
Sie machte die Tür zu und führte ihre Schwester durch den Vorraum in die Werkstatt.
»Signora de Valenti ließ anfragen, wo du bleibst«, keuchte Spinetta, die noch ganz außer Atem war, »und kurz darauf kam dann ein Brief vom Prokurator, in dem es hieß, ich solle zu dir in den Palazzo de Valenti kommen. Da gab’s einen ganz schönen Aufruhr im Kloster, das kannst du dir sicher vorstellen. Und wir bekamen Besuch von zwei Nonnen aus Sant’Ippolito. Paolo hat schließlich zugegeben, dass er dich hierher gebracht hat und nicht in den Palazzo.«
Spinetta schüttelte den Kopf, ihre Augen schwammen.
»Mutter Bartolommea wollte mich natürlich nicht weglassen. Ich musste mich fortschleichen. Ich bin mit Paolo hergerannt, so schnell ich konnte. Was ist passiert, Lucrezia? Und was hast du mit deinem Habit gemacht?«
»Paolo«, sagte Lucrezia, »Rosina ist in der Küche. Geh und lass dir von ihr etwas zu essen geben.«
Der Junge nickte und schlüpfte durch den schmalen Vorhang in die Küche. Nachdem er fort war, blickte sich Spinetta in der Werkstatt um.
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