Das bin doch ich
etwas zugestoßen. Davor fürchtet sie sich, und ihre Lösung sieht so aus, daß sie das Bild verschenkt.
Es wird Abend. Ich sperre mich in meinem Arbeitszimmer ein. Ich schaue in die Aufzeichnungen, die ich mir zu meinem nächsten Roman gemacht habe. Da und dort notiere ich etwas, ergänze, arbeite noch weiter aus. Ich sehe ihn vor mir, nicht handfest als Buch, sondern als Idee, und bin – ja, es ist schwer zu sagen, was ich bin.
Ich trinke einen Schluck. Eine Weile lese ich in den Fahnen von Die Arbeit der Nacht . Gefällt mir. Dieser Roman erscheint in drei Monaten. Der andere existiert bislang nur in meinem Kopf. Ich gehe durchs Arbeitszimmer und denke an diese beiden Bücher, sehe sie vor mir, als ein Teil von mir und zugleich als etwas Fremdes, von mir Geschaffenes. Ich fühle mich wie ein Siebzehnjähriger.
Als ich ins Wohnzimmer komme, sind Else und meine Mutter dabei, Anekdoten auszutauschen, und nicht selten stehe ich in deren Mittelpunkt. Meine Mutter erzählt, wie ich als Schüler einem Kameraden beim Skikurs ins Bett gepißt habe. Else fällt daraufhin ein, daß ich früher dafür bekannt war, an lustigen Abenden im dritten oder sechsten Stock aus dem Fenster zu pinkeln, man habe mich nicht aus den Augen lassen dürfen, plötzlich sei ich verschwunden, und man habe mich mit offener Hose auf dem Fensterbrett gefunden, den Kopf als Sicherung gegen den Absturz zwischen Innen- und Außenfenster verkeilt.
Meine Mutter wird von einem Lachanfall geschüttelt. Ich bitte, mit diesen Geschichten aufzuhören. Das hilft natürlich nichts, sie machen weiter, und ich lege mich aufs Sofa. Es war zuviel Bier, ich bin schläfrig. Im Fernsehen gibt es nichts Interessantes, außerdem würde ich sowieso wenig mitkriegen.
Ich halte die Augen geschlossen und döse vor mich hin. Else und meine Mutter sprechen leiser. Es geht um mich, aber nicht nur. Ich bin zu müde, um hinzuhören, auf dem Sofa ist es bequem. Ab und zu höre ich das Klirren von Tassen, ab und zu wird eine Schublade zu laut geschlossen. Sie reden und reden. Es fallen Namen, Ortsbezeichnungen, Jahreszahlen werden genannt.
Plötzlich merke ich, daß jemand über mir steht. Die Person verharrt eine Weile vor dem Sofa, dann setzt sie sich wieder zum Tisch.
»Häßlich ist er schon«, höre ich meine Mutter sagen.
Siebzehn
Ende Mai. Für mich gibt es nichts zu tun. Die Arbeit der Nacht erscheint im August. Leere, Leerlauf, Warten.
Ich sehe überall schlechte Vorzeichen, oder anders: Ich bin zweckpessimistisch und fühle mich schon durch Kleinigkeiten in meiner Sorge bestätigt. Gestern kam die Verlagsvorschau. Sieht gut aus, aber ich fand natürlich sofort Grund zur Beunruhigung. Bei einigen Autoren wird gleichzeitig das Hörbuch ausgeliefert, bei mir nicht. Wurde also vom Deutschen Hörverlag abgelehnt. Das gefällt mir nicht. Aber egal, selbst wenn mich Michael Krüger morgen anruft und sagt, bis auf einen Kerl in Greifswald lieben alle Kritiker mein Buch, werde ich verzweifelt sein, denn dieser Jemand in Greifswald ist das Böse unter der Sonne.
Ich sitze in meinem Arbeitszimmer, wo ich mich verborgen halte, weil die halbe Verwandtschaft zu Besuch ist. Nicht, daß ich etwas gegen sie hätte – ich bin nur zur Zeit zu sehr mit mir selbst beschäftigt. Außerdem habe ich mir vorgenommen, drei Wochen lang keinen Alkohol zu trinken. Die ersten sieben Tage habe ich hinter mir. Ich bemerke eine gewisse Steigerung meiner Reizbarkeit, gestern in der U-Bahnstation war ich knapp davor, einen hinter mir auf der Rolltreppe singenden Mann zu beleidigen. Dabei ist es natürlich nicht das Singen, das mich stört – alles stört mich, ich störe mich. Ich fühle mich wie bei einem Wettbewerb, der durch Publikumsvoting entschieden wird. Alle Telefonleitungen sind zu, das Ergebnis steht fest, aber noch kennt es keiner.
Daniel ruft an. Er geht auf Sylt im Regen spazieren. Es sind schon über 520.000 Exemplare, erzählt er mir, und mehr als zwanzig Lizenzen für Übersetzungen wurden vergeben. Der Erfolg seines Buches nimmt immer ungeheurere Formen an. Angela Merkel will ihn treffen.
Früher Abend. Der Großteil der Verwandtschaft verabschiedet sich, nur Ursel bleibt noch bis morgen, um Else und mir einen erholsamen Abend zu verschaffen. Sie hat blutige Mulltupfer am Nacken kleben. Ich erfahre, daß sie sich am Nachmittag vier Blutegel hat ansetzen lassen.
»Aber warum?«
»Das ist gesund! Der Egel spritzt dir am Ende ein Enzym ein, das dem Körper
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