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Das bin doch ich

Das bin doch ich

Titel: Das bin doch ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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guttut.«
    »Bist du denn krank, weil du…«
    »Nein. Vorbeugend.«
    »Tut das nicht weh?«
    »Naaaain. So wie eine Injektion eben.«
    Ich schalte den Fernseher ein. Der Sprecher sagt:
    Das ist Josef. Josef ist krank. Er hat Krebs.
    » LALALALA !« Else ist schneller als ich, sie hat die Hände gegen die Ohren gepreßt und singt lauthals: » LALALAAAAALALA !« Ich folge ihrem guten Beispiel,
     auch ich halte mir ein Ohr zu und intoniere etwas, das sich anhört wie der einzige existierende Ausschnitt aus einer klingonischen Oper 2 , also tiefes, machtvolles Gebrüll, während die freie Hand die Fernsteuerung bedient. Ursel schaut von Else zu mir, von mir zu Else.
    Wir kochen. Mir wird von großen Dingen berichtet, die sich heute morgen ereignet haben. Gunther drehte beim Frühstück das Radio an. Es kam klassische Musik. Nach ein paar Sekunden rief Stanislaus: »Das kenne ich! Mozart ist das!« Und es stimmte, es war Mozart, eine Sinfonie, die Stanislaus vor einem Jahr gehört hatte. Den Rest des Tages verbrachte Opa damit, allen zu versichern, sein Enkel sei ein Genie. Auch Ursel, die mir die Geschichte erzählt, ist noch ganz begeistert.
    Ein Genie? Stanislaus ist zwei Jahre und vier Monate alt und erkennt nach wenigen Sekunden eine Mozart-Sinfonie. Was bedeutet das? Stanislaus ist kein Genie. Mozart ist das Genie.
    Plötzlich Geschrei. Else hat sich mit dem neuen Küchengerät die Fingerkuppe des Daumens halb weggehobelt. Blut fließt heftig, sie hält den Finger unters Wasser, dann pressen wir saubere Tücher auf die Wunde, erst das fünfte wird nicht mehr gänzlich durchweicht.
    Ich will wissen, wie das zugegangen ist. Else erklärt, sie hat ohne den dazugehörigen Aufsatz gehobelt und ist an der feuchten Karotte abgeglitten, so daß der Daumen mit voller Wucht in das Messer gefahren ist. Ich schüttle den Kopf, mir gefällt es nicht besonders, wenn Else oder Stanislaus zu Schaden kommen, und wenn es aus Blödheit passiert, noch weniger. Ich schimpfe mit ihr. Warum kauft sie so ein tödliches Gerät überhaupt, und wenn sie es schon kauft, warum verwendet sie es nicht sachgemäß?
    Während Ursel Else verarztet – ich muß immer wieder auf den blutigen Nacken starren –, kümmere ich mich um das Gemüse. Ich nehme den Aufsatz und ziehe die Karotte damit drei-, viermal über das Küchengerät, aber schnell stelle ich fest, daß mit diesem Aufsatz nicht zu arbeiten ist und ich auf diese Weise noch in einer halben Stunde mit der Karotte dastehen werde. Ich lege den Aufsatz zur Seite und nehme die Karotte in die Hand, ich ziehe sie ein paarmal über das Gerät, dann macht es Flatsch!, und ich fühle ein Brennen am Daumen. Gerade kann ich noch erkennen, daß ich mir ebenfalls die halbe Daumenkuppe weggehobelt habe, dann strömt das Blut stark heraus, und von der Wunde selbst ist nichts mehr zu sehen.
    Ich halte den Finger unter die Wasserleitung. Ursel schaut uns an.
    Nach dem Essen verziehe ich mich in ein Lokal eine Straße weiter, das D-Zug . Wer Stammgast im a² ist, ist es auch hier, und umgekehrt. Ich setze mich an die Theke, Judith, die Kellnerin, grüßt ausgelassen, ich grüße zurück, ein paar andere Stammgäste sind da, sie winken, ich soll mich zu ihnen setzen, aber Else hat versprochen, nachzukommen, und so bleibe ich für mich.
    Der süßliche Geruch von Whisky liegt in der Luft. Das ist zuviel für mich, ich pfeife auf drei Wochen Abstinenz und bestelle mir ein Bier. Plus einen White Russian.
    Bernd, der Fernmeldetechniker aus Liechtenstein, läßt sich nicht abschrecken. Er läuft auf mich zu und will mich in Teletubbies-Manier begrüßen, ich soll aufstehen, damit wir unsere Oberkörper zusammenprallen lassen können wie Dipsy und Tinkie-winkie, aber das verweigere ich. »Komm schon, Baby«, sagt er, »stell dich zu uns!«
    Ich bleibe, wo ich bin. Ich kenne das schon, er sagt immer Baby zu mir, und wenn wir diskutieren, sagt er manchmal: »Du tust mir gerade mit Worten weh.« Ich vermute, es wäre besser, mit so jemandem nicht zu diskutieren. In Stammkneipen entwickeln sich eben manchmal Beziehungen und Konstellationen, die überall sonst undenkbar wären, die aber an diesem einen Ort funktionieren.
    Eine halbe Stunde später, ich bin bei der dritten Runde, wird mir bewußt, daß ich ständig jemanden beten höre. Ich blicke mich um, in meiner Nähe sitzt niemand. Weit und breit keiner, der für das einschläfernde Gemurmel rings um mich verantwortlich sein könnte. Aber immer wieder dringt es an

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