Das bin doch ich
spricht der größte Starautor der westlichen Welt Deutsch, und zwar ein gutes. Daniel und Marco neben mir frohlocken dennoch immer, wenn Englisch gesprochen oder gelesen wird, es ist vergleichbar mit dem Verhalten von Menschen früherer Generationen, wenn im Fernsehen Mr. Spock auftrat. Mir ist das alles schon egal, ich hole mir noch Wein. Eine innere Stimme raunt mir zu, daß ich mich auf einen Abgrund zubewege, aber ich kümmere mich nicht darum.
Nach der Lesung finde ich mich auf einem Barhocker wieder. Neben mir sitzt Klaus Nüchtern, der Redakteur der Stadtzeitung Falter . Der Kulturstadtrat, Mailath-Pokorny, steht auch herum, er ist zwei Meter groß und sieht aus wie ein Kasuar. Der größte Starautor der westlichen Welt, der ein Karl-Kraus-Kenner ist, begrüßt ihn mit dem Ausruf: »Servus, Pokorny!« Der Stadtrat versteht die Anspielung nicht und ist irritiert. Hinter mir schütten Gratzer und Freigaßner Wein in sich hinein, allerhand ausgeflipptes Volk ist da, es wird gesoffen und gebrüllt. In Ermangelung irgendeiner anderen sinnvollen Tätigkeit greife ich an Nüchterns Hinterteil, er fährt herum, als hätte ich ihn mit einem Messer gestochen. Er schimpft, ich lache.
Im Neu-Wien setze ich mich so, daß ich niemanden bitten muß aufzustehen, wenn ich zur Toilette will. Mir gegenüber sitzen Daniel und der größte Starautor der westlichen Welt. Neben dem größten Starautor der westlichen Welt sitzt der Stadtrat, dem sein Leibfotograf hin und wieder Anweisung gibt, näher nach links oder nach vorne zu rücken. Links vom Stadtrat sitzt die FAZ -Kritikerin, eine ungünstige Position, um am Tischgespräch teilzunehmen. Die deutsche Lektorin sitzt rechts von Daniel, links draußen schreien Herr Gratzer und Herr Freigaßner herum, und neben mir sitzen der Schauspieler Maertens (rechts) und Klaus Nüchtern (links).
Ich nehme mir vor, es nun ruhiger anzugehen, zumal ich das Gefühl habe, im Raum leuchte allenfalls eine 20-Watt-Birne. Ich habe das Gefühl zu schielen. Erst mal ein Glas, denke ich und will Wein, aber der Stadtrat hat das Aussuchen übernommen und läßt sich Zeit. Gratzer schreit: »Glavinic! Der Glavinic soll den Wein aussuchen!« Ich werde nervös. Ich gehe zur Toilette und bestelle auf dem Rückweg einen Gespritzten. Die Biertrinker haben bereits ihre Gläser, und der Stadtrat studiert noch immer die Karte.
Mailath-Pokorny hält eine Ansprache. Auf Deutsch. Er bringt seine Hoffnung zum Ausdruck, daß es dem Gast in der schönen Wienerstadt gefällt – »Haben Sie schon etwas gesehen?« – und daß er bald wiederkommen möge. Zur Feier des Tages habe man für alle Gulasch bestellt, Gulasch mit Serviettenknödel. Der Leibfotograf des Stadtrats blitzt und blitzt, vereinzelt wird geklatscht. Dann kommen die Teller, alle am Tisch essen, die meisten von den Österreichern hören auch beim Essen nicht auf zu rauchen. Ich esse auch, denn ich weiß nicht, was ich sonst tun soll, wie sieht denn das aus, einfach weiterzutrinken, während die anderen Gulasch mit Serviettenknödel essen, es muß ja nicht jeder glauben, mit mir sei schon alles vorbei.
Aber trotzdem, trotz Gulasch, bei mir wird es immer dunkler. Ich unterhalte mich mit Nüchtern, aber der fühlt sich in Anwesenheit des größten Starautors der westlichen Welt so unsicher, daß er mich ständig neckt und herausfordert. Ich bin zu betrunken, um nicht darauf einzusteigen, und unser Gespräch ist ein sinnleeres.
Nicht so uns gegenüber, da unterhalten sich Daniel und der größte Starautor der westlichen Welt, natürlich auf Englisch, gerade über das Wesen der Phrase. Von links schiebt sich immer wieder der Stadtrat ins Blickfeld des größten Starautors der westlichen Welt: »Wissen S’, bei uns in Wien ißt man gern ein Gulasch!«
Der größte Starautor der westlichen Welt nickt und lächelt und schenkt dem Stadtrat einen Blick, mit dem man Geisteskranke zu beruhigen pflegt. Daniel betrachtet interessiert die Stukkaturen an der Decke, während der größte Starautor der westlichen Welt über kulinarische Besonderheiten Österreichs informiert wird. Als der Stadtrat verstummt, dreht sich der größte Starautor der westlichen Welt wieder zu Daniel, und die beiden beginnen über Thomas Bernhard zu sprechen. Der größte Starautor der westlichen Welt schätzt Bernhard sehr und insbesondere dessen Humor. Daniel widerspricht zum Glück.
Unterdessen habe ich fünf weitere Gespritzte getrunken und unterhalte mich ohne direkten Sichtkontakt
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