Das bisschen Kuchen: (K)ein Diät-Roman (German Edition)
Im Kamin flackerte ein Feuer. Das Ganze wirkte wie ein englischer Club, nur ohne Zigarren und ohne Drinks.
Sie wollte gerade wieder gehen, als ihr Blick auf die bunten Buchrücken fiel, die ordentlich aufgereiht in deckenhohen Eichenregalen standen. Niki konnte nicht widerstehen. Mit schräggelegtem Kopf ging sie an den Regalen entlang und las die Titel. Es gab einfach alles: Unterhaltungsromane, Reisebeschreibungen, Biografien. Ein Band fiel ihr besonders ins Auge. Es war ein Buch über Madame de Pompadour, die Mätresse Ludwig des Fünfzehnten.
Fünf Minuten später war Niki in eine andere Welt versunken. Seite um Seite schlug sie um und las, wie die kluge Pompadour einen Mann nach dem anderen um den Finger gewickelt hatte. Unablässig hatte sie Briefe verfasst, galante Liebesbillets, diplomatische Depeschen, Klatschbreviers, mit denen sie ihre Getreuen unterhielt.
Doch bald schon schweiften Nikis Gedanken ab. Wie Flummis hüpften die Buchstaben vor ihren Augen herum. Die Ereignisse des Tages waren zu aufwühlend gewesen, und sie konnte sich nicht mehr konzentrieren. Wolfgang war hier gewesen! Und dann war da noch Leo, dem sie ziemlich übel mitgespielt hatte. Sie klappte das Buch zu. Schluss mit den Spielchen, dachte sie. Jetzt muss Klartext her.
Auf einem antiken Schreibtisch neben dem Kamin lag Briefpapier mit dem Vitaliswappen. Was die Pompadour so meisterlich beherrschte, konnte Niki wenigstens versuchen.Sie rückte einen Bogen Papier zurecht und griff zu dem dunkelblauen Kugelschreiber, auf den in goldenen Lettern der Schriftzug des Hotels geprägt war. Dann begann sie zu schreiben.
Lieber Wolfgang,
nein, ich bin nicht abgereist. Ich bleibe hier,
um endlich loszuwerden, was uns trennt:
mein Übergewicht. Lass es mich bitte
versuchen! Ich habe mich gehen lassen. Aber
wir haben noch eine Chance, das weiß ich.
Fünfundzwanzig Jahre Ehe und eine
wundervolle Tochter sind Grund genug. Ich
liebe Dich von ganzem Herzen und werde
alles dafür tun, dass es mit uns wieder so
wird wie früher. Gib mir diese vier Wochen.
Danach reden wir, okay? Egal, was passiert
ist – ich liebe Dich noch immer.
Deine Niki
Uff, geschafft. Sie las den Brief zweimal durch, bevor sie ihn in ein Kuvert steckte und die Adresse daraufschrieb. Nelkenweg 8. Wie weit weg war das! Und doch würde sie dorthin zurückkehren, runderneuert und mit den besten Vorsätzen.
Seufzend stand sie auf, dann setzte sie sich wieder. Es war noch ein zweiter Brief fällig. Sie nahm einen neuen Bogen und schrieb:
Lieber Leo,
was heute vorgefallen ist, tut mir sehr, sehr
leid. Ich wollte Dich nicht verletzen, denn
Du bist ein wunderbarer Mann. Ich mag
Dich sehr. Bitte verzeih mir. Ich werde es
wiedergutmachen.
Deine Niki
PS Du küsst auch grandios.
Ob das reichte? Unschlüssig drehte sie den Briefbogen in den Händen hin und her. Es gab so viel mehr zu sagen. Zum Beispiel, dass sie sich in seiner Nähe wohlfühlte. Und dass sie den Spaziergang mit ihm genossen hatte. Das sie mit ihm so offen reden konnte wie mit niemand sonst – nicht mal mit Wolfgang. Das gab ihr einen kleinen Stich. Aber Wolfgang würde sich ändern, ganz bestimmt. Mit ihm wollte sie alt werden. Nur mit ihm.
Eine Vision stieg vor ihren Augen auf: Sie saß mit Wolfgang im Garten, beide waren sie ergraut, zu ihren Füßen spielten Enkelkinder. Ein Duft nach Grillwürstchen durchzog die Luft, und ihre Tochter Peggy kam mit einer Flasche Rotwein nach draußen. Das Leben war so, wie es sein sollte. Kein Streit mehr, keine Auseinandersetzungen. Sie lachten und redeten bis in die späte Nacht. Das war das Glück, die Familienidylle schlechthin. Niki sah alles so genau vor sich, dass es fast schmerzte. Nein, sie durfte nicht aufhören zu hoffen.
Als Niki aufwachte, schlug ihr jemand mit dem Vorschlaghammer vor die Stirn. Sie zuckte zusammen. Heiliges Glaubersalz, was war denn das? An die täglichen Kopfschmerzen hatte sie sich ja schon gewöhnt, aber heute Morgen hatte der Schmerz die Wucht einer Abrissbirne.
Stöhnend drehte sie den Kopf zur Seite, und wieder war es, als verpasste ihr jemand einen Hammerschlag. Ihr Magen schlingerte wie ein Schlauchboot auf hoher See. Sie spürte ihre Füße nicht mehr. Mit letzter Kraft griff sie zum Haustelefon und drückte die Taste, auf der »Rezeption« stand.
»Hier ist Annika Michels. Mir geht es furchtbar schlecht. Könnte vielleicht ein Arzt oder besser eine Ärztin vorbeischauen? Auf keinen Fall Doktor Mannheimer!«
Dem
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