Das bisschen Kuchen: (K)ein Diät-Roman (German Edition)
durch den Raum.
»Die sind ein eingespieltes Team«, flüsterte Walburga. »Tamara kickt die Pässe, und Alexis schießt die Tore.«
»Sehen Sie« – Tamara warf das Tuch auf einen Sessel – »so verändern Farben die Ausstrahlung. Und glauben Sie mir, es sind heute einige Damen anwesend, die sich im Ton vergriffen haben, im Farbton nämlich!«
Alarmiert sahen einige Zuschauerinnen an sich hinunter. Im Farbton vergriffen! Unverzeihlich!
Tamara zupfte ein weiteres Tuch aus dem Stoffhaufen und drapierte es sich um die Schultern. Es war babyrosa. »Wie sieht das aus?«
Niki war sich nicht sicher. Fragend stupste sie Walburga an, doch die verdrehte nur die Augen.
Wieder meldete sich Alexis zu Wort. »Schrecklich! Weg damit!«
Theatralisch ließ Tamara das Tuch zu Boden fallen.
»Ich bin ein Herbsttyp«, erklärte sie. »Deshalb bringen die Farben des Herbstes meine braunen Augen und meine rote Haarfarbe am besten zur Geltung. Rostrot, Kupferrot, Kastanienrot, Olivgrün, Tannengrün, Goldgelb, Rehbraun, Tannenzapfenbraun. Das nenne ich einen goldenen Herbst!«
Von irgendwoher kam ein knarzendes Geräusch. Genauer gesagt kam es aus dem Sessel, in dem Leo saß. Mit geschlossenen Augen und offenem Mund war sein Kopf nach hinten gerutscht. Er schnarchte ganz allerliebst, wie Niki fand. Oje, sie mochte Leo. Jeden Tag gingen sie miteinander spazieren, und er war ihr immer mehr ans Herz gewachsen.
Walburga kicherte. »Guck mal, wie der vor sich hin stoffwechselt. Heute hat er zum ersten Mal seit Monaten etwas Fleisch bekommen. Macht ihn total fertig, wie man sieht. Der schnarcht fast so laut wie du.«
»Ich schnarche nicht!«, protestierte Niki.
Inzwischen war das ein Spiel zwischen ihnen geworden. Jede behauptete von der anderen, nachts das Zimmer zu zersägen. Die Wahrheit lag vermutlich irgendwo dazwischen.
»Annika?«
Bei der Erwähnung ihres Namens zuckte Niki zusammen. »Ja?«
Tamara machte eine einladende Handbewegung. »Komm doch mal bitte nach vorn.«
Zögernd erhob sich Niki und stellte sich neben Tamara. Die hielt ihr ein kobaltblaues Tuch neben das Gesicht. »Merken Sie’s? Diese Farbe ist pures Gift für Frau Michels. Sie ist ein Frühlingstyp, wegen der goldenen Reflexe in ihrem Haar und wegen ihres warmen Hauttons. Deshalb stehen ihr zarte Farben wie Lindgrün, Aquamarin und Apricot. Ganz bezaubernd übrigens, dieses Kleid. Man könnte die Wirkung allerdings mit einem passenden Schmuckstück erhöhen.«
Tamara öffnete einen Schmuckkasten aus poliertem Palisander und holte eine Kette mit einem Aquamarinanhänger heraus.
»Sehen Sie?« Sie legte Niki die Kette um. »Der richtige Schmuck lässt Annikas Augen leuchten und ihren Teint strahlen. Das spart mindestens zwei Liftings!«
Ein Dirndlmädchen erschien an der Tür. »Ist Frau Annika Michels hier?«
Ungehalten wedelte Tamara mit ihrer Stola, als wollte sie ein lästiges Insekt verscheuchen. »Sie kann gerade nicht.«
»Ich glaube, es ist dringend.« Das Mädchen von der Rezeption hielt einen Umschlag in die Höhe. »Das ist gerade per Kurier gekommen. Steht ›eilig‹ drauf.«
Niki wurde mulmig zumute. Was war das? Die Entmündigungsurkunde? Der Scheidungsantrag? Auf jeden Fall etwas Unangenehmes und auf jeden Fall hatte es etwas mit Wolfgang zu tun. Totenblass wankte sie zur Tür und ergriff den Umschlag. Mit zitternden Fingern riss sie ihn auf. Ein eng beschriebener Zettel lag darin und ein weiterer, kleinerer Umschlag. Auf Anhieb erkannte sie Peggys Handschrift und überflog die wenigen Zeilen.
Liebe Mama,
Du hattest leider völlig recht. Papa hat eine
Geliebte. Es ist einfach grauenhaft. Heute ist
er von seiner Reise zurückgekommen, und
zwar nicht allein. Wenn Du stark genug bist,
sieh Dir die Fotos an. Alles weitere erzähle
ich Dir am Telefon. Ruf mich sofort an,
sobald Du diesen Brief erhalten hast!
Kuss, Deine Peggy
Nikis Herz blieb stehen. Doch sie wollte die Wahrheit, nichts als die Wahrheit. Wild entschlossen öffnete sie den kleinerenUmschlag. Was sie darin fand, war schlimmer als alles, was sie befürchtet hatte. Wolfgang und seine Geliebte auf der Terrasse. Auf ihrer Terrasse! Das dünne Ding trug ein Nichts von einem Tanga und ein Oberteil, das keine Vermutungen über ihren straffen Busen offenließ. Aufreizend beugte sie sich zu Wolfgang hinunter und reichte ihm ein Glas Bier.
Auf den anderen Fotos waren Varianten derselben Szene zu sehen. Mal lagen die beiden reglos nebeneinander im Sonnenschein, ihre Hände
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