Das bisschen Kuchen: (K)ein Diät-Roman (German Edition)
waren die Hungerqualen des Vitalis, vergessen waren die strengen Regeln und Verbote. Jetzt zählte nur noch eins: pure, enthemmte Völlerei!
Tamara und Alexis halfen Niki, die Teller aufzutragen, Leo schnitt das aufgebackene Baguette in Scheiben. Sobald die ersten Bissen auf der Zunge landeten, kam frenetischer Jubel auf. Es war einfach überirdisch, was Niki da serviert hatte, so das einhellige Urteil.
»Ich habe eine Gänsehaut«, bekannte Leo. »Ein Schauer nach dem anderen läuft mir über den Rücken. Mit diesem Wahnsinn übertriffst du alles, was ich jemals gegessen habe, Niki!«
Dankbar sah sie ihn an. Und stolz. Ja, sie konnte kochen. Doch was ihr immer gefehlt hatte, waren Gäste, die sich völlig dem Genuss hingaben. Wolfgang mochte zwar, was sie ihm vorsetzte, doch unablässig zählte er Kalorien. Er war ein sachlicher, eher leidenschaftsloser Esser. Kein Vergleich mit Leo, dessen Gesicht vor Seligkeit strahlte.
Wie unterschiedlich doch die Menschen essen, dachte Niki. Tamara speiste mit konzentrierter Zielstrebigkeit, Alexis knabberte wie ein Vögelchen. Walburga saugte die Langustenhälfte mit aufgestützten Ellenbogen in sich hinein, und Leo schloss verklärt die Augen, während sein ganzer Körper beim Kauen bebte.
Für den würde ich gern öfter kochen, durchzuckte es Niki. Es war ganz schön erotisch, wie er sich in seine Esslust steigerte. Sie ertappte sich bei dem Gedanken, ob Leo wohl auch im Bett so lustvoll genießen konnte. Aber war das überhaupt eine Frage? Trotz seiner Körperfülle war er die pralle Sinnlichkeit in Person.
»Und jetzt?«, fragte Walburga, die schon alles verputzt hatte. »Was kommt als Nächstes?«
»Überbackene Crêpes, gefüllt mit Seezunge, Crème fraîche und gedünsteten Frühlingszwiebeln«, kündigte Niki den zweiten Gang an.
Leo warf seine Serviette auf den Tisch, erhob sich und ging auf Niki zu. Ohne Zögern umarmte er sie.
»Du bist eine Göttin!«
Dann machte er sich wieder auf den Weg zu seinem Platz, entgeistert beäugt von Walburga, Tamara und Alexis. Oje. Verlegen spielte Niki mit der goldfarbenen Kordel, die sie zur Feier des Tages umgelegt hatte. So viel spontane Zuneigung war sie einfach nicht gewohnt.
»Wenn sie ein Restaurant hätte, würde sie jetzt den ersten Stern bekommen«, stellte Alexis fest. »Sie kocht alles in Grund und Boden, was jemals eine Kochmütze aufgesetzt hat.«
Der zweite Gang rief noch mehr Jubel hervor. Die hauchdünnen Crêpes mit ihrer sanftsaftigen Füllung zergingen auf der Zunge. Leo schenkte dazu einen Meursault ein, den er als einen der größten französischen Weißweine bezeichnete. Niki hatte noch nie davon gehört. Doch sie spürtebereits beim ersten Schluck, wie wunderbar die fruchtige Säure mit dem zarten Fischaroma harmonierte. Wieder ein Punkt für Leo.
Der dritte Gang bestand aus getrüffelten Rinderfiletspitzen mit in Rotwein pochierten Schalotten und Ratatouille. Als vierten Gang brachte Niki einen ganzen, ausgelösten Lammrücken auf den Tisch, mit Honig, Olivenöl und Kräutern im Ofen gegart, zu dem sie Kartoffelgratin reichte. Jedes Mal, wenn sie ein neues Gericht auftrug, wurde sie gefeiert wie eine Olympiasiegerin. Der Wein floss in Strömen, alle hatten glänzende Augen. Die Stimmung wurde immer ausgelassener.
»Auf die Königin der Küche!«, brachte Alexis einen Toast aus.
Sie waren mittlerweile bei einem schweren Burgunder angelangt, der öligbraun in den Gläsern schwappte.
Walburga kratzte den letzten Rest Kartoffelgratin aus der feuerfesten Form. »Wenn die Desserts genauso gut sind, mache ich ihr einen Heiratsantrag!«
Alexis und Tamara lachten los. Nur Leo blieb ernst. Er sah Niki mit einem eigenartigen Blick an, den sie nicht ganz deuten konnte. Doch ihr Herz machte einen kleinen, erschrockenen Hüpfer. Um sich ihre Verwirrung nicht anmerken zu lassen, eilte sie in die Küche. Dort wartete der nächste Angriff auf Bauch, Beine, Po: ein halbflüssiger Schokoladenkuchen in kleinen Förmchen, die sie nun aus dem Ofen holte und mit einem Klacks geschlagener Sahne dekorierte.
»Dafür würde ich morden«, grunzte Walburga, als sie wenig später ihre Portion in sich hineinschob.
»Und ich würde dafür sterben«, seufzte Tamara.
»Magie, reine Magie«, ächzte Leo.
Alexis verdrehte die Augen. »Grundgütiger, ist das etwa Kirschwasser, was diesem Kuchen dieses unnachahmliche Aroma gibt?«
»Erraten«, antwortete Niki.
Ihr war heiß, sie schwitzte, doch sie war nie glücklicher
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