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Das blaue Buch - Roman

Das blaue Buch - Roman

Titel: Das blaue Buch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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allem den Kinderkram, aber wenn er vor Erwachsenen auftrat – nur gelegentliche Abende – dann erschütterte er sie. Er bewegte ihr Denken; nicht weit, aber er bewegte es. Ich habe es gesehen.
    Und die Milch wird in die Zeitung gegossen, und – meine Güte – weg ist sie.
    Wie absolut und unfassbar verblüffend.
    Wenn ich alles, was ich wollte, erscheinen lassen könnte, wenn ich das Zerbrochene und das Zerrissene nehmen und wieder ganz machen könnte, wenn ich den Massen zeigen könnte, dass hier ein echtes, ein absolutes Wunder geschieht – wieso sollte ich meine Gaben da an Zeitungen und Milch verschwenden?
    Und da kommt die Schere und das zweifelhafte Stück Seil.
    Dies ist das Fegefeuer, und ich habe es verdient.
    Mein Vater mochte Arthur nicht – dabei wollte ich es so gern: Zwei Männer mit wunderschönen Stimmen, seltsamen Interessen, die hätten doch zu gegenseitigem Verständnis finden sollen.
    Doch es war sehr klar, dass sie nicht würden – wie kann ein Hund einen Fast-Hund mögen? Vor allem, wenn beide denken, der andere sei der Fast-Hund.
    Doch ich war optimistisch und machte sie miteinander bekannt.
    Mum gab sich Mühe: Das erste Treffen, ich habe erzählt, dass Arthur wichtig ist, und ich habe noch nie einen Mann mit nach Hause gebracht, und wir beide haben uns für Abendessen gewappnet – wir müssen das endlich tun und einfach in den sauren Apfel beißen, den Apfel mit den Zähnen fangen, nicht ganz einfach, der Trick – und Mum hatte das Haus makellos geputzt, es gab frische Blumen und Kerzen, und sie behandelte Arthur wie einen Anzugmann, ein Stammesmitglied, das sie bisher aus Versehen ignoriert hatte und besser kennen müsste, und freundlicher wird es nicht. Ihretwegen aß er zu viel Dip – er kann Dip nicht ausstehen, aber war auch ganz aus seiner Haut heraus im Bemühen, die Sorte Gentleman zu sein, auf die sie stehen: der diese rosa Klebetunke herunterschluckt und eine Krawatte und einen Anzug trägt – einen blauen – und ihre Hand nimmt und sie küsst. Dad lehnt neben mir, spricht aber nicht, die Luft um ihn herum zittert merklich, was sein Bedürfnis anzeigt, in einem Mississippi-Schaukelstuhl auf einer brütend heißen Veranda zu sitzen, eine geladene Schrotflinte auf den Knien.
    Aber das waren bloß die üblichen väterlichen Gefühle, und ich glaube, das war uns bewusst, und wir konnten damit umgehen. Dad sorgte sich. Das wurde auch von ihm erwartet. Er hoffte – ganz still, stellte keine lächerlichen Forderungen – auf eine vorzeigbare Hochzeit mit Fräcken und Zylindern und Fotos, und seine Frau in freudigen Tränen, und dann Kinder und noch mehr Fotos.
    Nur konnte keiner von uns einen Zauber wirken, der das möglich machte.
    Wir setzten uns zum Essen – meine Eltern und Arthur und ich – eine fröhliche Viererrunde. Sie hatte die schicken Weihnachts-Tischsets hervorgeholt, nur ohne Stechpalmenbeeren und Lametta, und wir waren nicht völlig entspannt, aber wir arbeiteten daran. Arthur und ich arbeiteten vor allem, wir konzentrierten uns stärker in den Raum hinein, als wir für möglich gehalten hatten – versuchten uns mit Mum und Dad und miteinander zu harmonisieren, die Dinge zu beruhigen, zu helfen. Was andererseits nicht half, war Arthurs Abstinenz. Er hatte beschlossen, dass er immer einen vollkommen klaren Kopf brauchte, also keinerlei Additiv oder Kick. Diese Abstinenzphase kam nach den Handschuhen. Dad fand Abstinenz eigenartig. Gott allein weiß, was er von den Handschuhen gehalten hätte.
    Und ziemlich früh am Abend, als alles noch recht steif war, noch bevor wir mit der hausgemachten Rinderbrühe fertig waren, fragte Dad ihn: »Und was machen Sie beruflich, Arthur?«
    Und Arthur sagte ihm die Wahrheit.
    Dabei hätte er alles sagen können, und ihm wäre geglaubt worden.
    Matt zeigt seinem Publikum das Seil in Stücken, Seil ganz, Seil verknotet, Seil durch den Hals eines kleinen und unverletzten Jungen gezogen.
    Tricks für den Enkel – dafür war Dad geboren.
    Der gegenwärtige Zauberer lacht mit seinem Publikum – ein nach innen gerichtetes, grunzendes Schweinchenlachen. Er füllt seine Hände mit Schaumstoffbällen – du lieber Gott, Schaumstoffbälle, nicht mal Billardkugeln – ein Gewucher von Schaumstoffbällen, und er grunzt und schlurft.
    Er ist furchtbar.
    Und darum lieben sie ihn, darum werden sie klatschen, wenn er die lange Nadel durch den großen Luftballon steckt – was, um fair zu bleiben, einigermaßen knifflig ist, wenn das Schiff

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