Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das blaue Buch - Roman

Das blaue Buch - Roman

Titel: Das blaue Buch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
Vom Netzwerk:
so sehr schaukelt.
    So knifflig, dass er den Ballon platzen lässt.
    Na, macht doch nichts, versuch es noch mal. Das Publikum kann warten.
    Und noch einmal.
    Es gibt zwei Gründe, sich Aufführungen irgendwelcher Art anzusehen. Beides menschliche und verständliche Gründe.
    Wir können hingehen und uns Menschen ansehen, Mitglieder unserer eigenen Spezies, die sich selbst übertreffen, über alle Erwartungen hinauswachsen, in ihrem Tun brennen. Und diese Darsteller sind größer und besser und erstaunlicher, als wir sein können, aber das ist gut so, das ist wunderbar, ein Geschenk – vielleicht haben sie eine Stufe erreicht, die wir auch erlangen können, enthüllen eine Wahrheit über uns selbst. Vielleicht haben wir ein entsprechendes Licht in uns selbst. Sie sind Menschen, und wir sind Menschen, und wenn wir aufstehen und ihnen applaudieren, wenn wir merken, dass wir stehen, dass dieses von ihnen dargebotene Wunder uns in die Höhe gezogen hat, dann spenden wir unseren Beifall einem Ereignis, zu dem wir selbst gehören – Demut und Stolz brennen gleichermaßen in uns, und wir sind begeistert. Wir lassen uns von ihnen erwärmen, bis wir ein klein wenig andere Menschen sind.
    Oder wir können hingehen und uns Menschen ansehen, Mitglieder unserer eigenen Spezies, die versagen und sich unwohl fühlen, sich etwas vormachen, unglücklich sind, lächerlich, billig. Und vielleicht waren wir all das auch schon, haben uns auch schon so gefühlt, aber heute Abend leiden die Menschen auf der Bühne, wir sind in Sicherheit und fähiger und souveräner, als sie es je könnten, glauben wir. Sie sind Menschen, und wir sind Menschen, und wir lassen sie fallen. Wir sind weder überwältigt noch bloßgestellt, wir können bleiben, wie wir sind, und uns ganz sicher sein, dass wir genügen.
    Heute sitze ich in der zweiten Sorte Publikum. Sie sind der Grund, warum ich keinen Fernseher mehr besitze: zu viel vom zweiten, zu wenig vom ersten. Es ist wichtig, sie nicht dafür zu hassen, wie sie sind – denn sie sind genauso gnadenlos wie ich, und in Wahrheit können sie auch über sich hinauswachsen und lodern, verblüffen und erstaunt sein – früher genau wie heute – und, wie immer wieder nachgewiesen, ihre Herzen werden gebrochen werden, vielleicht mehr als einmal, und zu irgendeinem unvermeidlichen Zeitpunkt werden sie aufhören zu existieren – sie werden eine Tragödie sein – diese Dinge sind ihnen sicher. Darum können sie nichts als Zärtlichkeit verdienen.
    Aber gerade diesen Menschen – und ich bin ihnen nicht unähnlich – wünsche ich, dass Arthur ihnen das Hirn manipuliert, ihre Sturheit, ihren Hass, ihre Ängste ausnutzt.
    Und damit sage ich im Grunde, dass sie den besten Zauber verdienen: nicht Taschenspielereien mit Karten und verbundenen Ringen und verschwindenden Frauen, sondern Ewigkeit und Liebe für immer, wiederhergestellte Liebe.
    Ich glaube, Arthur nahm an, mein Vater könnte ihn so sehen. Als Zauberer – als jemand, der Wunder darbietet.
    Aber wenn Arthur arbeitete, behauptete er, seine Wunder seien wahr – sie konnten keine Wunder sein, wenn er nicht sagen durfte, dass sie echt seien – und bei der Zauberei gibt es nur eine Regel: Man darf nie behaupten, dass es wirklich Zauberei ist. Diese Lüge darf man nie erzählen.
    »Bring ihn nie wieder mit hierher.« Dad war vom Tisch aufgestanden, und Mum saß zwischen ihren besten Servietten, ihren schönen Sachen, war verletzt, aber ich musste meinem Vater nachlaufen, Dad finden.
    Er sah so aus wie Francis, als er über Derek sprach: »Ich kann nicht, ich kann dich nicht hindern …«, dieselbe Wut, mein Verhalten ist ihm peinlich, zugleich will er mich beschützen. Und er will Streit anfangen. »Ich kann ihn nicht im Haus haben.« Aber er hat niemanden, mit dem er Streit ertragen könnte.
    Weiß nicht, was er noch gesagt hat, nur kann ihn nicht im Haus haben.
    Mum hatte die besondere Fischpastete mit extra viel Gemüse gemacht, und eine Kirschtorte mit Schlagsahne dazu, und niemand aß davon.
    Sie weinte, aber ich war beschäftigt, und Arthur saß in seinem Wagen, nicht fort, aber nicht im Haus.
    Kann ihn nicht im Haus haben.
    Dad hält mich am Arm fest, und wir können uns selbst nicht fassen – wir sind verändert, wir wollten es gar nicht, und ich muss gehen und bei Arthur sein.
    Kann ihn nicht im Haus haben.
    Hätten sie einander doch mögen können, bestätigen können.
    Das Publikum klatscht wieder. Derek schnaubt und verändert die Stellung

Weitere Kostenlose Bücher