Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das blaue Buch - Roman

Das blaue Buch - Roman

Titel: Das blaue Buch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
Vom Netzwerk:
sich hinein, verbeugt sich mit offenem Mund, als müsse er Äpfel aus einer Wasserschüssel fischen. Auch seine Assistentin verbeugt sich – ganz professionell, hat vergessen, wen sie eigentlich darstellen soll.
    Beeindruckend ist nur die Geschwindigkeit – wie schnell sie die Plätze tauschen, der Mann zur Frau und die Frau zum Mann werden kann – Houdini hat den Trick mit seiner Liebsten vorgeführt – wenn du wärst ich.
    Komisches Paar, die Houdinis – oder die Weiss’, um genauer zu sein. Hatten keine Kinder, also erfanden sie einfach eins, machten eine Geschichte zwischen ihnen daraus.
    Die Saallichter werden wieder lästig, und folgsam leeren sich die Sitzreihen.
    Beth stupst Derek an, der eingedöst war, wo sie es doch lieber hätte, wenn er seine Bewusstlosigkeit für später aufsparte.
    Aber ich glaube nicht, dass er später schlafen wird.
    Und ich werde nicht da sein, es nicht mitbekommen.
    Denn jetzt hört es auf.
    Wir hören auf.
    Er schnieft, windet die Schultern und wirkt so empfindlich und sauber wie jeder Mensch, der gerade aufgewacht ist.
    Ich glaube, was ihm so gefiel, war meine Unzugänglichkeit. Er deutete sie als komplexe innere Leidenschaft, die sich durch Raffinesse würde enthüllen lassen.
    Doch würde er das Tuch wegziehen, könnte er sehen – ich bin in Stücke gegangen, nicht zu gebrauchen.
    »Lass uns hier rausgehen.« Er klingt tatsächlich ein bisschen benommen.
    Und er ist der wahre Publikumsfreiwillige – ein echt Ahnungsloser – egal, was er also tut, der Trick wendet sich gegen ihn.
    Sie schieben sich zwischen die letzten Zuschauer, zwischen das Gemurmel und die Parfüms.
    Auf den meisten Gemälden der Kreuzigung wird es falsch dargestellt – die Künstler zeigen die Nägel durch seine Handfläche gebohrt, dabei würde das nie funktionieren: Man musste an den Handgelenken fixiert sein, sonst würde man nicht genug gehalten. Aber die Künstler haben es verstanden: Blut und Metall am Sweet Spot, das muss man zeigen – so was hat jeder schon geschmeckt.
    Das macht es kein bisschen besser, was ich ihm antun werde. Das ist mir klar.
    Beth lässt zu, dass sie in Richtung Ausgang geschoben und gestoßen werden.
    Francis und Bunny sind sicher in ihrer Kabine, beide mit ihrer Liebe, in ihrer Liebe.
    »Derek?«
    »Ja.« Kurze, flache Silbe.
    »Magst du Jimi Hendrix?«
    »Was?«
    »Schon okay. Vergiss es.«
    Inzwischen sind sie aus dem Theatersaal getreten, bleiben auf dem nachdrücklich hochwertigen Teppichboden stehen, und Beth ist zugleich müde, müde, müde und außer sich, beginnt an einem anderen Ort zu leben, gedankenlos und gespannt, und das macht sie unvorsichtig.
    »Du beschissene Fotze.«
    Sie rechnet nicht damit, dass Derek sie am Ellbogen packen und es ihr laut ins Gesicht sagen wird – nicht richtig schreiend, aber doch Aufmerksamkeit erregend: »Du beschissene, beschissene Fotze.«
    »Was?«
    »Ich war krank!«
    »Du warst … Natürlich warst du krank, ich war – ich habe dir tagelang Tabletten verabreicht.«
    Die Schlechtigkeit, die in diesen Worten steckt, pocht in ihren Fingerspitzen.
    »Fotze.«
    Das Foyer ist unglücklich. Ein quadratschädeliger Mann im Smoking zuckt mit dem Kopf, als sei die erste Verwendung des Wortes Fotze eine Ohrfeige gewesen; nach der zweiten und dritten ist er eindeutig hin und her gerissen zwischen körperlichem Eingreifen und dem Wegführen seiner Frau außer Hörweite.
    Damit sie das Wort für eine Stelle nicht mehr hören muss, die sie selber besitzt.
    »Derek, was willst du …?« Aber Mr Quadratschädel hat sie sicher schon lange nicht mehr zu Gesicht gekriegt. Er hat seinen Höhepunkt früh erreicht, und jetzt weiß er nicht mehr weiter. »Es gibt … wieso tust du das jetzt?« Und er hätte niemals das Wort Fotze benutzt.
    Dabei ist es doch ein schönes, kraftvolles, festes Wort – Fotze.
    Mrs Quadratschädel hätte es vielleicht gesagt – sie hat verborgene Untiefen – jedenfalls vor ihm verborgen – ich wette, sie tanzt auf Partys allein und erschreckt ihn zu Tode, wenn er sie sieht, ich wette, sie flirtet mit Kellnern.
    Und wieso lese ich diese Menschen, wenn ich doch eigentlich Derek lesen sollte?
    Derek, dessen Gesichtsfarbe sich verdunkelt und verdichtet hat, der seine Würde verloren, weggeworfen hat – eher verstört als wütend, die Augen groß und feucht und direkt auf sie gerichtet, als könnte er so ihre seltsame Fähigkeit enthüllen, ihn zu schlagen, oder ihre Giftigkeit, oder sonst irgendeine körperliche

Weitere Kostenlose Bücher