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Das blaue Buch - Roman

Das blaue Buch - Roman

Titel: Das blaue Buch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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braun, Zigarettenreste liegen herum, aufgehobenen Zeitungen mit ordentlich gelösten Kreuzworträtseln, mit weniger ordentlich gelösten, mit welchen, die völlig falsch ausgefüllt sind, und in den Küchenschränken liegt Dosenlachs und Mikrowellen-Popcorn – das wohl für festliche Anlässe – keine Gäste, kein Anzeichen von Besuchern – aber dennoch Popcorn, und im kleinen Tiefkühlfach in der oberen Kühlschrankecke Fertigmahlzeiten für zwei Personen. Zeichen der Hoffnung. Oder des Hungers.
    Immer noch ein Doppelbett.
    Er kann es nicht anfassen.
    Vorhin hat er ihre Sachen eingepackt – kaum etwas dabei, das er wiedererkennt, keinerlei Verbindung, abgesehen vom Farbgeschmack, einem Überrest ihres Stils in bestimmten Stücken. Das ging alles an einen Wohltätigkeitsladen, wo über das traurige Ableben gesprochen wurde – wenn man so viele Sachen bringt, muss man Erklärungen liefern.
    Er merkte, dass er nicht Mutter sagen konnte – den Begriff nicht in der Öffentlichkeit verwenden konnte – überzeugt war, es würde ungehörig erscheinen, dass er ihr so unanständig fern stand – dass ihre Kleidung unappetitlich roch – dass sie nicht wollen würde, dass es bekannt wurde. Also erzählte er den Freiwilligen im Laden, seine Tante sei gestorben, und das sei all ihr Besitz.
    In zwei Mülltüten und einem billigen Koffer.
    Alles.
    Nachdem er ihre Sachen gefaltet und fertig verpackt hatte – ihre Habseligkeiten – machte er sich ein Sandwich. Musste erst die Arbeitsfläche in der Küche saubermachen, nahm dann das harte Brot, das sie zurückgelassen hatte, das sie mit demselben Messer angeschnitten hatte, das er jetzt in der Hand hielt, bevor sie gegangen war.
    Man kauft sich einen richtigen Laib Brot und schneidet Scheiben mit einem Brotmesser ab – fertig geschnittenes Brot konnte sie nie leiden, sagte immer, es schmecke so klamm.
    Altes Brot und selbstgemachte Marmelade mit einem gekritzelten Etikett, auf dem Brombeere und Apfel stand, und ein Preisaufkleber: 50p .
    Weiß der Himmel, wo sie die gekauft hat.
    Und sie schmeckt auch nur nach Dunkelrot und süß.
    Leicht saure Butter – stand in einer Butterdose auf der Arbeitsfläche, schon seit Tagen. War aber kalt in der Küche – also nicht so verdorben, wie er befürchtet hatte.
    Schwacher Trost.
    Und er aß das Sandwich im Stehen, krümelte.
    Fast ungenießbar.
    Dann wusch er sich die Hände.
    Ging zur Tür, lehnte sich in den Türrahmen.
    Am 12. November 1997 ist meine Mutter gestorben.
    Geboren am 9. Juni.
    Wusste nie, wo ich eine Glückwunschkarte hinschicken sollte.
    Hätte ihr vielleicht auch nicht gefallen.
    Medikamente.
    Psychische Erkrankungen.
    Und Probleme.
    Wenn jemand stirbt, tut es einem nicht immer leid, will man nicht immer reden.

SEINE STIMME KLINGT gesäubert, gereinigt bis auf die Knochen, wo sie nur noch pedantisch und wachsam ist, wo sie aus Sprüngen und Schatten gemacht ist. »Jetzt bin ich dran, ja?« Arthur steht im Wohnzimmer seiner Suite und betrachtet die Fenster, das Aufblitzen und Zucken unruhigen Regens. Er hat es so eingerichtet, dass nur eine Lampe leuchtet, nach unten gerichtet, wodurch die Einrichtung und die kleinen Details, die seine Suite zu einem zweiten Zuhause machen, zur Bedeutungslosigkeit verdunkelt sind. »Ist es so? Jetzt ich? Wieder ich? Ich Glücklicher …«
    Beth hat ihn wieder vom Zahlmeisterbüro aus angerufen, aber schon vor einer Weile – sie ist gelaufen, der Geist des Schiffes hat sich unter ihr gedreht und gewunden, und sie hat ihren Kopf so leer wie nur möglich gehalten, sich auf das hier vorbereitet.
    Sssschhh.
    Ihm zu Gefallen. Vor allem ihm zu Gefallen.
    Um ihm eine Freude zu machen.
    Sie hält sich vor sich selbst geheim, damit sie es schafft, damit sie sein kann, wie sie sein muss.
    In mir ist nichts, was er lesen kann, außer dem, was er finden will.
    Als sie ankommt, ist klar, dass auch er sich vorbereitet hat. Er hat dafür gesorgt, dass sie diesmal in einem Türrahmen aufgehalten wird, eingerahmt und sich hässlich fühlend, während das schön gearbeitete Holz der Tür zunächst ihren Arm berührt, sich dann zurückgezogen hat.
    Er ist schwer zu sehen, leicht gebeugt, den Kopf eingezogen, und er hält sich außerhalb des Lichtkegels, auch als er sich umdreht – in einem eher glanzlosen Hemd und wahrscheinlich Jeans und barfuß: bleiche Formen, ebenso undeutlich wie seine Hände in Bewegung, sein Gesicht. »Ich dachte, ich lasse dir die Tür offen, damit du einfach

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