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Das blaue Buch - Roman

Das blaue Buch - Roman

Titel: Das blaue Buch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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jedem Fragenden.
    Und vor allem, weil sie seine Hände halten werden.
    Sie werden ihn berühren.
    Sie werden sich mit dem leisen Klopfen seines Pulses vertraut machen, mit seinen beredten Vorschlägen. Doch immer formell bleiben, Zurückhaltung.
    Das Sakko bleibt an, egal, was geschieht, und man muss vorsichtig sein, den richtigen Abstand einhalten. Ein Gentleman sein. Vor allem für die Damen.
    Mit Frauen ist die Arbeit leichter. Die sexuelle Orientierung spielt keine Rolle, es ist schlicht einfacher und läuft glatter für ihn, wenn er mit dem Geschlecht zu tun hat, das er lieben sollte, lieben dürfen sollte – das Echo all seiner Erfahrungen, die schrecklichen Wege der Zärtlichkeit, die immer noch in ihn hineinführen, die kann er nutzen – sie bestehen auf seiner Aufmerksamkeit, fokussieren ihn – und er muss die Zuneigung nicht vortäuschen. Die Neigung existiert von vornherein.
    Außerdem leben, überleben Frauen länger – bei ihnen bekommt er also mehr Übung.
    Frauenheld.
    Was zu anderer Zeit und an anderem Ort witzig wäre.
    Und wenn ich ein anderer Mann wäre.
    Doch ich bin hier, ich bin ich, und ich arbeite.
    Und hier ist Agathe.
    Ihr Nachname ist zweifellos eine vorsichtige Erfindung, doch Agathe – der ist wahr. Der klingt in ihr nach, wenn er ihn sagt, und er sieht sie hohl werden vor Verlangen, ihn wieder so zu hören, wie er früher war, vertraut und gesprochen von verlorenen Lippen. Es tut ihr weh. Wenn er neben ihr sitzt, tut es dem Mann auch weh.
    Zuerst war sie ihm gegenüber übertrieben wachsam, erfüllt vom wütenden Wunsch, weg zu sein, gefühllos, anders, als sie ist.
    Der Mann versteht das.
    Und Sicherheit: Agathe will immer noch Sicherheit, mehr als Worte sagen können.
    Aber natürlich glaubt sie nicht daran. Sie hat kein Vertrauen in Zufluchtsorte.
    Sie hat gesehen, was mit Menschen geschieht, die es haben.
    Agathe ist also eine Herausforderung.
    Was nicht heißt, dass sie seine Kräfte übersteigt.
    Sehr wenige Menschen haben seine Kräfte überstiegen.
    Und wenn man es recht betrachtete, gab es bei Agathe nur eine echte Barriere zu überwinden. Das vereinfachte das Vorgehen – er konnte sie entweder brechen, was er niemals tun würde, oder ihre Grenze finden und dann respektieren, ihr die ersten beiden Tage mit Demut und Zurückhaltung begegnen: sie nicht ohne Aufforderung überschreiten.
    Freundlichkeit.
    Alles mit Freundlichkeit gemacht.
    Wir sind alle aus Freundlichkeit gemacht.
    Jetzt gerade dürfte sie auf ihrem Bett liegen, aber nicht schlafen. Agathe schläft selten. Sie wird gehört haben, wie er in seinem Bad geduscht hat, das leise Gepolter seiner Füße, sein ungeschickter Tritt – müde – gegen einen Stuhl, der diesen auf den Teppich warf. Für sie hat jedes Geräusch Bedeutung, vernünftige Erklärungen, doch jedes ist auch ein Schrecken. Jedes Geräusch kann das Unentrinnbare sein, das sie endlich holen kommt. Sogar ein Husten lässt sie zusammenzucken, oder das Flattern ruheloser Tauben draußen auf dem Fenstersims.
    Das hatte er schon geraten, ehe er sie kennenlernte.
    Nein.
    Hatte er sicher gewusst.
    Denn er fing damit an, sich von ihrer Geschichte überwältigen zu lassen – das Empörende ihrer Erfahrung, ein Gefühl, fassungslos, beraubt, zersplittert zu sein, zu Tränen und Schwindel mitgerissen zu werden: seins, ihrs, seins. Er hatte die Aromen bewahrt, die unergründliche Größe, das Abgleiten in Wut und das aufmerksam wartende Nichts. In ihrer Abwesenheit begann das, was ihr widerfahren war, Gestalt anzunehmen.
    Das mindestens hätte er erwartet, denn er hat gelernt, Fakten zu nähren und sie nützlich werden zu lassen. Fäden, Andeutungen, Schnipsel, sie alle bereiten ihn auf den Ersten Blick vor.
    Als ich sie aus dem Frost in den milchigen Dunst eines Cafés an der Rue Saint-Denis kommen sah.
    Aufträge in Montreal mag ich immer – so eine verrückte Stadt, voller Schäden, gierig nach Erlösung. Und da war Agathe – ganz und gar – das Begrabene und das nicht Begrabene.
    Und da war ich, um bei ihr zu sein.
    Sie war kantig, klar gegliedert, und ihr Gang war sicher geschmeidig und würdevoll gewesen, jetzt jedoch steif und gehemmt geworden. Der hoch aufgerichtete Kopf war ängstlich, die Kehle angespannt. Ein billiger, knöchellanger Rock und bequeme Stiefel zum Schutz gegen die Kälte – nichts Zierliches, Weibliches, nicht mehr, nur Verteidigung gegen Quebec, gegen die Kälte. Eine Art dünner Anorak, verblichen, ursprünglich nicht ihrer;

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