Das blaue Buch - Roman
schlägt.
Er fing an, sie in seinen Gedanken als den Duft von aromatisiertem Kaffee zu fixieren, aber auch als grünen Morgen, als den Nachgeschmack von Fanta – sehr beliebt in Ruanda, Fanta – und die Störung durch zu fröhliche Musik und die Abgase von Motorradtaxis. Auch Montreal steckte schon in ihr – die flachen Vokale der Québécois und eine Parkbank, sitzen, weggescheucht werden von zupackenden Betrunkenen aus der Missionsstation, über Gebühr verängstigt sein, erschreckt von ihren zahlreichen Schwächen, und wie sie sich zeigen: das war gestern. Das trug sie an der Oberfläche, aber er drängte, bis sie in die fernere Vergangenheit tauchte, Kigali, die geschwungenen Linien runder Hügel – keine Angst, keine Schocks – nur Nebel in Tälern und Staub in Khakirosa, der bei Regen auf Bürgersteige und Straßenasphalt gespült wird.
Er beschließt, nicht zuzugeben, dass die Erde Ruandas eine Farbe hat, die ihn an Befleckung denken lässt, an Überlaufen, an buckligen Boden, der sich bewegt, brodelt, auffällt, weil er zu viel geschlachtetes Fleisch bedeckt. Davon hält er sie fern – schottet jeden ihrer Gedanken von glitschiger Verwesung, verknäuelter Kleidung, Straßen ohne Luft zum Atmen ab. Das ist das Mindeste, was er tun kann.
Er hat andere Länder gesehen, andere Orte, die sich an Selektion und Raub erinnern, an Hetzjagden, Fluchten, Gruben – Guatemala, Polen, Bosnien, Spanien – eine ältere und neuere und jedes Jahr längere Liste von Ländern. Dem Mann ist bewusst, dass unterschiedliche verwundete Erde verschiedene Farben haben kann, er sollte sich also nicht von zufälliger Mineralogie in die Irre führen oder sie beunruhigen lassen.
In seinen Gedanken wird sie kein Blut sehen, nicht da, wo er sie rettet. Sein Denken bringt sie beharrlich an einen makellosen Ort, lässt sie in einem sonnenhellen Raum im oberen Stockwerk einer von mehreren aufgereihten Villen leben – dort wird er sie behalten. Jede seiner Fragenden wird sicher in imaginäre Häuser umgesiedelt, zusammen mit den Einzelheiten, die ihnen Wirklichkeit verleihen. Sie werden mit Würde und akkurater Zärtlichkeit eingelagert.
Er vergisst sie nicht.
Sie werden in Liebe aufbewahrt.
Das ist wichtig.
So wichtig wie die Tatsache, dass er für sie arbeitet und sie dann nie wiedersieht.
Keine Ausnahmen.
Seine notwendige Einsamkeit.
Der richtige Weg, das Falsche zu tun.
Der Mann hört durch die Wand, wie Agathe sich regt, eine Toilettenspülung, Wasser, das in die Badewanne läuft. Ihre geteilte Unterkunft ist nicht luxuriös, aber angenehm, gewährt Privatsphäre und Platz. Als sie die Suite sah, brachte es sie nah an ihre frühere Existenz. Man sah den Anflug von Tränen, von Zorn, von Scham.
Er hat ihr Badesalze und Öle gegeben. Sie glauben beide nicht, dass sie irgendwelchen New-Age-Nutzen haben. Mit solchem Mist braucht man ihnen nicht zu kommen. Doch sie fühlt sich dadurch verwöhnt, weiblich und umsorgt, und inzwischen – zwei Tage sind verstrichen – kann sie so etwas wieder ertragen. Guillaume, ihr Ehemann, hätte ihr am Anfang ihrer Beziehung ähnliche Überraschungen gekauft, an einem seiner aufmerksamen, weniger geschäftigen Tage.
Schwierig, die Düfte richtig hinzubekommen – Moschus, ägyptisches Sandelholz, Weihrauch, Tuberose, Pi for Men und Amarige von Givenchy – sehr Neunziger. Er schenkt ihr Wege, wie Agathe sich an Agathe erinnern kann, wie Agathe sich an Guillaume erinnern kann.
Michel, ihr Sohn, ist schwieriger, weiter weg.
Es schmerzt sowohl den Mann als auch Agathe, dass Michel meist außer Reichweite bleibt.
Die Grausamkeit der Söhne ihren Müttern gegenüber empört immer wieder.
Während sie badet, wartet der Mann und stützt seine Ellbogen auf den Tisch, schließt die Augen und bewegt den Kopf, schmiegt sich in die klimatisierte Luft.
Dann schluckt er, runzelt die Stirn, lässt sich in ein Gefühl ihrer Haut fallen – das ist nichts Erotisches, sondern ein Kennen – dies ist gewissermaßen erkannt werden – dies ist Wasser auf ihrer Oberfläche, auf ihrer gemeinsamen Oberfläche, auf dem nicht mehr gebrauchten Körper, dem Körper, der sich selbst zu vergessen sucht, über die Narbe an ihrem Schlüsselbein. Flüssigkeit in der gewölbten Linken schöpfen.
Agathes rechte Hand ist weg. Sie kann also keine Rechtshänderin sein.
Schade, denn das war sie.
Könnte schlimmer sein. Und sie gibt ja auch nicht vor, sie hätte eine Laufbahn als Putzfrau, Kindermädchen, Kellnerin
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