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Das blaue Buch - Roman

Das blaue Buch - Roman

Titel: Das blaue Buch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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auch einfach nur durchzusehen, darüber nachzusinnen, dass mehrere Menschen, Menschen, die dich kennen, sich die Mühe gemacht haben, Kontakt mit dir aufzunehmen – manche davon gänzlich unaufgefordert. Diese Gedanken, diese Befriedigung auszustrahlen, das wärmt und geht ganz leicht. Oder du kannst einem beliebigen Freund eine SMS schreiben, dass du dich langweilst – du musst nicht erwähnen, dass du allein bist – und dann kannst du still lächeln, als wärst du verliebt, als hättest du gerade etwas Neues deiner Liebe wegen unternommen. Das wärmt noch mehr und lässt dich noch attraktiver erscheinen. Nicht dass du nicht schon attraktiv wärst und vielleicht auch wirklich verliebt und voll und ganz geschätzt: Es ist nur so, dass deine Liebe nicht hier und nicht jetzt ist. Also brauchst du einen Hauch von Beweis, Zeugen, Bestätigung. Eine sacht verstärkte Darbietung bedeutet, dass du akkurat wie du selbst wirkst.
    Auch wenn immer die Gefahr besteht, dass deine Liebe eine Abwesenheit oder ein wiederholter Fehler ist und dass diese Dunkelheit sich einschleicht und dich umwölkt. Oder es könnte auch passieren, dass dich niemand anruft oder deine SMS beantwortet. Du könntest natürlich trotzdem so tun als ob.
    Öffentlich ignoriert zu werden ist auch wieder traurig.
    Und vorzugeben, du hättest ein kleines Mobiltelefon in der Handfläche, wenn in Wirklichkeit keins da ist, und die Aktivitäten zu spielen – das wäre noch trauriger. Tu das nicht.
    h) Mach kurze Notizen auf Papier – mit gerunzelter Stirn und ernsten Lippen – als sei dir gerade ein besonders entscheidender Punkt eingefallen und müsse aufgezeichnet werden. Oder mach dir die Mühe, einen Laptop bei dir zu haben und ihn zu benutzen – benimm dich, als würdest du Geschäftliches erledigen, eine unauffällige Gestalt im Herzen unsichtbarer Imperien, oder jemand, der an Sonetten arbeitet, oder an der Biographie Houdinis, oder an einem Schlüsselroman mit mehr Schlüsseln als eine Partitur und keinem einzigen Schloss.
    Das wäre sehr, sehr, sehr traurig.
    Also vielleicht nicht schreiben.
    Sondern lesen: Das ist anregend, das ist gesellig.
    i) Lies die Speisekarte oder Flyer, Werbungen, blättere verwaiste Zeitungen durch und überleg dir, wer sie wohl vorher in der Hand hatte – lass dir davon die Zeit mit fröhlichem Glanz vertreiben.
    Und deinen eigenen Papierkram mitzubringen muss auch nicht defätistisch wirken: Du kannst das ausgewählte Material durchsehen, als wäre es anstrengend, absurd, arbeitsbezogen, absolut notwendig fürs Studium – oder etwas Herausragendes zum Vorzeigen, mit jeder Menge Nicken und Grinsen, ein Buch, das jeder vernünftige Mensch lesen sollte. Es wäre gut, wenn in Frage kommende Buchumschläge geschmackvoll wären.
    l) Spiel dir ablenkende Musik vor – lass sie sanft durch Kopfhörer deiner Wahl strömen. Mach deutlich, dass du es genießt, dass du innerlich mitsummst.
    Starr nicht einfach in die Gegend, wie du es durchaus tun könntest, wenn du angenehmer Musik lauschst – das lässt dich geistig zurückgeblieben aussehen. Genieße aber auch nicht zu vehement – jedenfalls nicht, wenn du über fünfundzwanzig bist. Vermeide alles, was über leises Fingertrommeln und möglicherweise Fußtappen hinausgeht. Stummes Textmitsprechen, körperliche Darbietungen, das Spielen imaginärer Instrumente – all das ist zu vermeiden.
    Fang nicht an, dich zu grämen, sollte deine Isolation darauf hindeuten, dass Teile deines Lebens falsch oder nicht nach Plan verlaufen sind.
    Das wäre unerträglich traurig.
    m) Du solltest also den hässlichen Druck des Beobachtet-Werdens in Beobachtung umkehren – betrachte die anderen Gäste und das Personal und erhebe dich über deine Spezies.
    Dabei wirst du sehen, dass – sagen wir – Paar G sich in den ersten sechs Monaten einer warmherzigen, aber ziemlich jugendlichen Beziehung befindet – dass Paar E lange keinen Sex hatte, aber bald haben wird, auch wenn sie weniger Interesse zeigt als er – dass Kind N ein Soziopath und Mutter O seiner Entwicklung nicht förderlich ist. Sie lässt sich von seinen blauen, blauen Augen und seinen blonden, blonden Haaren einwickeln, und er benutzt seine Schönheit bereits verbrecherisch, genießt die Verehrung und glaubt, dass jede andere Frau, die er trifft, sie ihm ebenfalls schuldet, dass er auf immer und ewig tun und lassen darf, was er will.
    Umgekehrt jedoch sollte ein gar nicht unähnliches Kind nicht vernachlässigt werden. Keine

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