Das blaue Haus (German Edition)
und sie anzusehen – jetzt, wo alles vorbei war. Es gab der Situation die richtige Untermalung. Er spürte das Anschwellen seiner Zunge und einen scharfen Nebel aus dem Magen heraufsteigen, der sich unaufhaltsam seinen Weg ins Gehirn suchte. Es wurde Zeit. Die Panik schlug zu! Was hatte er nur gemacht? Sein Hals schnürte sich zu. Nichts war mehr rückgängig zu machen. Die Panik wurde stärker. Sie riss seinen Verstand in Fetzen. Was sollte er tun? Schreien? Es ging nicht mehr. Nichts ging mehr. Er wollte Schicksal spielen, immer wollte er nur spielen. Gut, aber wo endete sein jetziges Spiel? Aus dem Spiel wurde nun erbarmungsloser Ernst, sei es drum. Gott war weg, er hatte ihn vertrieben.
Dane riss die Augen auf und sah Sarah an – zum ersten Mal seit drei Monaten. Sein Herz raste, es pochte bis zum Hals, in all seine Glieder hinein.
Sarah hatte sich kaum verändert, immer noch trug sie ihr blondes Haar kurz und frech. Nur die Ohrringe fehlten und nahmen ihr die Fröhlichkeit. Sie war immer noch schlank, fast dünn, und aus der Entfernung gruben sich die ersten sichtbaren Falten zwischen Nase und Wangen, aber sie sah hinreißend aus. Seine Liebe zu ihr war immer noch so stark wie am ersten Tag, als er ihr begegnet war
Sein Gesicht tauchte in brennende Hitze, seine Hände wurden feucht. Er hoffte und wünschte, bald wieder bei ihr zu sein. Er durfte den Tod nicht zulassen. Doch wer wollte das jetzt noch bestimmen?
Sie schaute nicht hin, obwohl sie seinen Blick spürte – den Ersten seit Monaten. Eigentlich sollte das einen Triumph in ihr auslösen, doch es löste nichts aus, keine Freude, kein Hurra, dass er endlich die Augen öffnete. Es war nicht der Blick, der eine Zukunft verheißen ließ. Es war sein Letzter, und das wusste sie.
Sie sah nicht hin, denn sie wollte ihm nicht mit Tränen begegnen. Sie klammerte sich an ihr Buch, was sie gerade vorlesen wollte, auch wenn es mehr als mühsam war. Sie liebte ihn immer noch so sehr, dass sie alles geschehen ließ und nicht eine seiner Entscheidungen mehr anzweifeln wollte. Es war kein Grund mehr da, ihn von dem abzuhalten, was er für sich entschied. Er konnte nicht von ihren Wünschen leben, das wusste sie inzwischen. So hatte sie sich von ihrer Sorge um ihn gelöst und spürte den letzten Tag in diesem Zimmer.
Dass es das Ende des Buches war, gab ihm zusätzlich die theatralische Untermalung seiner Aktion. Sein Blick hielt an ihr fest, als ein starker Schmerz seinen Körper durchzuckte. Ein so starker Schmerz, dass er die Augen noch weiter aufriss und seine Atmung einem Krampf erlag. Er spürte einen weiteren Krampf im Magen, den Schmerz bis hin in die Haarwurzeln, und er dachte an die zerfressende Chemie, die den Tod zu ihm bringen würde. Dann, endlich ein Blick von Sarah. Er wollte jetzt sprechen, etwas zu ihr sagen, ihr alles mitteilen, doch sein Gesicht blähte sich nur noch auf, als der Sauerstoff knapp wurde. Es war ihm, als pressten sich die Lungen leer, und er fiel aufgrund der großen Schwäche in eine tiefe Ohnmacht.
Nun sah sie ihm in die Augen, kurz vor seiner Ohnmacht. Wie ein Pflichtgefühl überkam es sie, es ihm schuldig zu sein. Sein Blick hatte sie gezwungen. Es waren eigentlich immer nur seine Blicke gewesen, die mit ihr gesprochen hatten.
Sarah sah seine dunkelbraunen Augen, die einmal so viel Glanz ausgestrahlt hatten und nun in einem stumpfen Grau zerfielen. Zwei Glaskugeln, die wie stumme Schreie zerplatzten.
Sarah sah ihn an und war überrascht, wie gefasst sie die Situation nahm. Seine Augen wurden zum Spiegel seiner unglücklichen Vergangenheit – und seiner Verzweiflung, die Dinge gemacht zu haben, die er eigentlich nie wollte. Sie hatte immer nur das Gute darin gesehen, das doch jahrelang vom Bösen beherrscht worden war – letztendlich bis in diese Psychiatrie. Jetzt sah sie es ganz deutlich und musste schlucken, um nicht ein dramatisches Gefühl aufkommen zu lassen.
Er wusste nicht, wie lange er Sarah noch angestarrt hatte. Eine Träne presste sich aus seinem linken Auge, und Sarah saß nur dabei und sagte nichts. Sie wusste, dass er sterben wollte; sie hatte es den ganzen Tag schon gespürt. Nur wie, das hatte sie nicht gewusst. Sie wollte es auch nicht zerstören, egal, was er sich ausgedacht hatte. Nur bei ihm wollte sie sein, ihm zeigen, dass sie es so in Ordnung fand, wie er es für sich entschieden hatte. Ein letzter Respekt für seine letzte Entscheidung.
Sarah ließ das ganze Personal draußen vor der Tür und sah zu, wie
Weitere Kostenlose Bücher