Das blaue Haus (German Edition)
gegangen, und er hatte wirklich geglaubt, alles hinter sich gelassen zu haben: seine schlimme Kindheit, seinen Krieg gegen seinen Vater und den Hass gegen seine Mutter. Doch letztendlich war alles wieder aus ihm herausgebrochen. Warum? Weil sich die Anderen ständig in seine Probleme eingemischt hatten. Das hatte ihn so wütend gemacht, dass er zu morden begonnen hatte. Und er hatte es nicht mehr stoppen können.
Nun war er ein echter Mörder, und Dane erschrak plötzlich vor sich selbst. Er wollte kein Mörder sein. Nicht mehr. Er hatte schmerzhaft dafür gebüßt und Sarah verloren. Sarah! Oh, mein Gott, Sarah!, durchfuhr es ihn. Wo war sie? Wie sollte er diese Trennung je ertragen? Alles war kaputtgegangen, das Wichtigste überhaupt: sein Leben mit Sarah. Warum zerbrachen nur alle an ihm? Was konnte er dafür, so zu sein, wie er war? Das verstanden nur die Ärzte und quetschten ihr Wissen in dicke Ordner, die als Schmuck in ihren Sprechzimmern glänzten. Dane wusste, er hätte Sarah nie verloren, wenn es nicht diese Ordner geben würde. Wo war die Schuld?
Dane erhob sich. Er sah in den Himmel, sah wie sich kleine Flocken aus den Wolken lösten und auf ihn niederschwebten. Wo war die Schuld, verdammt!
Er fühlte die Schneeflocken auf seinen Kopf niederrieseln und wusste, dass die Schuld bei ihm lag. Er ganz alleine musste sie tragen und nun darum kämpfen. Aber wie? Hier in dieser Kälte, ohne Geld, ohne Heim, ohne Sarah? Wo lagen jetzt seine Perspektiven? Seit den letzten Wochen gab es viele Schlagzeilen über ihn, das war so gut wie sicher – und Bilder gab es auch. Alle hatten sein Gesicht gesehen und seinen Namen gelesen oder zumindest gehört. Ganz Kansas wusste von ihm – dem Mörder. Wie viele Stunden hatte er noch, um eine neue Chance zu finden?
Er ging durch die niederschwebenden Flocken. Sie tanzten wie eine Trauergemeinde um ihn herum. Er sah die glanzvollen Lichter der Geschäfte und ... begann zu weinen. Endlich konnte er weinen.
Der Strom quälte sich zähfließend durch die Leitungen. Weihnachten stand vor der Tür.
Er wurde müde. Schuldgefühle und Depressionen erschöpften seinen unterkühlten Körper zusätzlich, und er wünschte sich nichts sehnlicher als ein Bett. Ihm fiel die Farm ein. Ein Straßenschild zeigte nach Topeka, meilenweit entfernt. Egal. Irgendwann würde er ankommen.
Als die Lichter der Stadt hinter ihm blieben und er in die neblige Dunkelheit tauchte, wurde ihm mit jedem Schritt unwohler. Er wusste, dass etwas falsch an dem war, was er tat, und er ging langsamer, um nicht noch mehr falsch zu machen. Dann schlug die Erinnerung an seine niedergebrannte Farm wie ein Blitz in seine Gedanken. Er selbst hatte sein Haus angezündet! Ein Heim, von dem er sich jetzt wünschte, es wäre da – mit einem Bett.
Er blieb stehen und sah in die Dunkelheit hinein, in der irgendwo seine Farm liegen musste. Nichts als Dunkelheit. Er blickte zurück. Die Lichter der Stadt schwebten wie ein beleuchtetes Ungetüm unter den schweren Wolken. Dane spürte seinen Körper nicht mehr. Gar nichts mehr.
Plötzlich stand er vor einer großen Leuchtreklame. Er sah hoch und las Bank of Kansas City . Wie war er hierhergekommen? Hatte er kehrtgemacht? Hatte ihn der letzte Rest seines Verstandes dort hingeleitet, zum Geld und somit zu der einzigen Chance, an ein Bett zu kommen?
Er beobachtete ermüdet die Geldautomaten und die Kunden, die sie benutzten. Er konnte die Automaten nicht nutzen. Aber er konnte vielleicht irgendwann bei irgendjemandem eingreifen. Nein, er war zu schlapp, um einen Überfall durchzustehen. Ihm fehlte die körperliche Kraft. Also streifte er weiter durch dunkle Gassen und Gegenden. Nicht einmal ein Obdachloser begegnete ihm. Die waren alle irgendwo in einem Asyl in dieser Stadt. Dort wo es warm war und es etwas zum Essen gab – und ein Bett. Ein Bett, das er nicht benutzen konnte. Überall lauerte die Gefahr. Wie viel musste es noch kosten, bis ihm auch das egal war?
In der Morgendämmerung ließ seine Vorsicht dann bedenklich nach. Seine Füße trugen ihn noch in die Mitte des Eisenhower Parks, wo er Platz auf einer leicht zugeschneiten Holzbank fand und sich unterkühlt in seine Arme einwickelte. Er war nun vollkommen erschöpft und gab allem nach. Er schlief ein.
Ein Geräusch ließ ihn plötzlich hochfahren! Knirschende Schritte im Schnee näherten sich seiner Bank. Er wollte sich erheben, doch die Steifheit seiner Glieder war zu stark. Dafür spürte er keinen Schmerz mehr.
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