Das blaue Haus (German Edition)
nichts, das er sonst noch gebrauchen konnte. Ein Foto, das zwei kleine Kinder zeigte – wahrscheinlich die Enkel. Aber das Feuerzeug, das war gut. Ein Versuch, es zu entzünden, misslang. Dafür steckte er die Papiertaschentücher ein.
Mit hochgeschlagenem Kragen und gesenktem Blick verließ Dane die Anlage wieder und huschte unauffällig in die nächste Seitenstraße. Er lief und lief, wusste nicht wie lange. Dichter Schneefall setzte ein. Plötzlich stand er von einem alten Inn, außerhalb der Stadt, völlig unscheinbar und billig – die Nacht acht Dollar und entsprechend dreckig.
Der alte Mann an der Rezeption schien ebenso erschöpft wie er selbst und schaute sich den Gast nicht weiter an. Er schaute nur auf das Geld und händigte Dane stumm einen Zimmerschlüssel aus.
Durchfroren sackte Dane unter das muffige Bettzeug und kam tagelang nicht mehr richtig zu sich.
Dezember 1996. Kansas City. Sunny Inn.
Wieder hörte Dane die lauten Schritte vor seiner Tür, als ihn ein fürchterliches Jucken auf seiner Brust überkam. Es ging in ein heißes Brennen über. Das ließ ihn hochkommen. Er dachte an Wanzen und Flöhe und sah unter sein Hemd. Es malte sich ein weißes Pulver auf seiner Haut ab. Angewidert sprang er aus dem Bett und riss sich die Kleidung vom Leib. Er war auf Brust und Armen mit einer Pulverschicht übersät.
Tagelang hatte sein Körper um Sauerstoff gekämpft und die transparente Totencreme in weißliches Pulver verwandelt. Dane sah sich hastig um. Nirgends eine Dusche. Wie auch bei acht Dollar pro Nacht? Eine schmale Tür neben der Zimmertür verbarg ein unhygienisches Klo, das er kurz und angeekelt benutzte. Ein Waschbecken mit stinkendem Abfluss und einer verrosteten Armatur war die einzige Waschmöglichkeit. Das Wasser lief fadendünn und verschwand gluckernd im Ablauf.
Dane hechelte vor Ekel und klopfte seine Haut ab. Ein alter Flicken hing als Waschlappen neben dem Becken. Beharrlich feuchtete er ihn an und begann, sein Totenkostüm abzuwaschen. Er wühlte in den Taschen seiner Hose nach den Papiertaschentüchern der alten Dame. Immer wieder überkam ihn dieser Ekel. Er besah im Spiegel seine Zähne und reinigte auch sie notdürftig. Dann, plötzlich, wie ein Blitz dachte er an Sarah. Ja, Sarah!
Eine schmerzende Sehnsucht, ihr zu sagen, dass er noch lebte und sie nach wie vor liebte, überkam ihn. Auch, dass er jetzt hier in diesem modrigen Inn saß und nach ihrer Nähe gierte. Er schloss die Augen und sah sie in einem Apartment voller alter Möbel und viel Wärme. Er sah ihre Augen und ihren letzten Blick zu ihm. Hatte sie denn die Nachricht in seinen Augen nicht gelesen, die gesagt hatte, ich komme wieder? Wo war sie wohl nach diesem Unglück hingegangen?
Mit nassen Fingern schrieb er SARAH auf den Spiegel. Dann begann er zu weinen und sackte schmerzgebeugt zusammen.
*
„Sarah Gelton? Ja, die Nummer haben wir“, sagte die Dame von der Auskunft. „Wählen Sie bitte 816 311. Ihre Adresse? Nein, die haben wir nicht. Tut mir leid.“ Klick.
Wenn das Sunny Inn auch nichts außer Dreck zu bieten hatte, so hatte es aber doch einen intakten Telefonanschluss. Dane wählte zittrig. Nach dem dritten Klingeln ertönte eine Männerstimme.
„Ja?“
Dane erschrak, schwieg.
„Hallo! Wer ist denn da?“, fragte die Stimme.
Dane wagte, weder zu atmen noch zu sprechen. Die Stimme kam ihm bekannt vor. Richtig, es war Johnathans Stimme, eine Stimme aus seiner Vergangenheit. Dane sah plötzlich das Lokal Running Horse vor sich. Er ließ den Hörer erstarrt auf das Gerät fallen. Was tat er nur? Ein kurzes Hallo hätte zu einer gefährlichen Falle werden können. Verdammt! Es wimmelte nur so von Fallen. Was konnte er wirklich unbedenklich tun? Konnte er etwas tun?
Was machte Johnathan in Kansas? Bei Sarah. Dane kam seine eigene Beerdigung in den Sinn. Das ließ ihn frösteln. All die Menschen, die er jetzt so dringend brauchte, waren am anderen Ende der Leitung, hier in dieser Stadt oder zumindest in der Nähe der Stadt. Sie saßen in warmen sauberen Zimmern, in sauberer Kleidung und in einem geregelten Leben. Das tat weh.
Er wollte doch nur Sarahs Stimme hören. Oder mehr? Er las ihren Namen auf dem Spiegel. In seinen Gedanken zeichnete sich ihr blondes Haar ab, ihr Lachen und diese Ohrringe, die er so sehr an ihr gemocht hatte. Daneben tauchte plötzlich ein kleines Gesicht auf, ähnlich seinem eigenen, als er vier und noch völlig unberührt von den Klauen seines Erzeugers gewesen war. Das ließ ihn
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