Das blaue Haus (German Edition)
geschah nichts.
Dane Gelton hatte durch seinen spektakulären Abgang Hochachtung und Ehrfurcht bei den Patienten hinterlassen, denn keiner von ihnen wusste, wie er das gemacht hatte. Was sie aber wussten, war, dass er nie mehr zurückkommen würde. Vorher würde er wirklich sterben wollen, sei es durch fremde Hand oder seiner eigenen. Er hatte eine Ausdauer an den Tag gelegt, die den Mitpatienten unmissverständlich klargemacht hatte, dass er hier nicht bleiben wollte. Kein Erwachen, keinen Kontakt, keine Gruppenintegration, keine Zukunft. Die Patienten waren sich plötzlich gar nicht mehr so sicher mit ihrer Wahl. War dieser Gelton wirklich so brutal? Oder waren es nicht eher die Klugheit und die Sanftmut, die er mit diesem Abschied präsentierte?
Damit hatte Dane Gelton doch einen besonderen Rang auf der Station erlangt, zu dem er nichts weiter beigetragen hatte, als nichts zu tun, was fast unmöglich auf dieser Station war. Man redete nicht mehr über Dane Gelton, und doch wussten alle diesen beeindruckenden Abgang zu schätzen.
Erst eine Woche später fand die Station wieder zu ihrem normalen Tagesablauf zurück, doch die Patienten dachten ständig an ihn. Vor allen Dingen an die Methode, die er angewandt haben musste. Das beschäftigte die ehemaligen Außenweltler nur allzu sehr. Vielleicht wäre es doch klüger gewesen, Kontakt zu ihm gesucht zu haben.
Dezember 1996. Kansas City.
Danes schwarze Kleidung stellte sich als sehr vorteilhaft heraus; sie verschwand mit ihm in der nebeligen Dunkelheit, die über Kansas City lag.
Nahezu zwei Stunden irrte er herum, bis er endlich den Weg ins Zentrum und somit zu einer öffentlichen Toilette in der Minnesota Avenue fand. Es fror ihn fast unerträglich. Die Anlage stank entsetzlich, aber seine Blase ließ ihm keine andere Wahl. Es mussten Tage vergangen sein, seit er das letzte Mal uriniert hatte. Wie hatte er das nur ausgehalten? Schwindelgefühle stellten sich ein. Vergiftungserscheinungen seiner Niere? Der Druck der Blase war schmerzend.
So sehr er sich erhofft hatte, dort eine warme Heizung zu finden, so enttäuscht musste er feststellen, dass sie eingefroren war. Unter Schmerzen ging ihm der erste Urin ab. Dann die Erleichterung. Der Schwindel ließ etwas nach.
Verstört suchte er den Weg weiter in das Innere der Stadt.
Man hatte sich wirklich bemüht, Weihnachten einzufangen. Tausende von Lichtern und Farben sowie Glitzersterne und anderer Kitsch baumelten an und in den Geschäften herum. Ein immenser Stromfluss versorgte die Geschäfte mit einer Vision, die der Mensch sich selbst geschaffen hatte und so verlogen war, dass es zum Himmel stank.
Dane erinnerte sich wieder an Weihnachten, als diese Stadt noch nicht als Ungetüm des Fortschritts existiert hatte. Sicher, man hatte sich auch damals schon um eine künstliche Atmosphäre bemüht, die Kunden zum Kaufen motivieren sollte, aber der heutige Anblick ließ sich nur noch mit Stress bewältigen. Jetzt waren es nur noch die Geschäftsleute, die sich freuten – die Kunden weinten – nach Weihnachten natürlich. Alle Geschäfte waren geschlossen und Dane so einsam, wie er es nicht einmal in der Klinik gewesen war. Erschöpft ließ er sich auf einer mit Frost bedeckten Sitzbank nieder. Er war am Ende seiner Kräfte. Es war nicht das, was er sich nach seiner Flucht erhofft hatte ... und so enttäuschend. Die Uhr am Kirchturm des Highland Park Cemetery zeigte 23:47 Uhr.
Dane versuchte, sich an die Zeit vor der Klinik zu erinnern; was es eigentlich gewesen war, dass ihn dort hineingebracht hatte. Er verfluchte das verwirrende Gefühl in seinem Kopf, das einfach nicht verschwinden wollte. Es musste doch möglich sein, an irgendetwas zu denken. Seine Hände berührten die mit Frost bedeckte Bank. Erst waren es nur kleine Erinnerungen, die er fand, dann wurden es mehr.
Er sah seinen alten Freund Johnathan, mit dem er 15 Jahre lang ein Lokal in Glendale/Kalifornien geführt hatte. Beide kümmerten sich gut gelaunt um das Wohlergehen ihrer Gäste. Die Bilder der Erinnerung verschwammen plötzlich zu einem anderen Bildnis. Er sah Johnathan mit einem anderen Mann, einem kleinen Mexikaner oder so. Wo war er geblieben? Was machte dieser Mexikaner an Johnathans Seite?
Dane durchfuhr ein Schreck! Er hatte die Hälfte seines Lokals ja verkauft, an diesen kleinen Mexikaner. Damit hatte alles begonnen: Er hatte Sarah kennengelernt und war mit ihr in sein Elternhaus in Kansas gezogen. Das hatte alles verändert. Es war lange gut
Weitere Kostenlose Bücher