Das blaue Haus (German Edition)
dann war dieser Stich gekommen – von hinten, als hätte ihm jemand ein Messer in den Rücken gestoßen. Seine Beine übernahmen schließlich die Initiative, als sie seinen Körper von der Bank in die Höhe stemmten. Er schüttelte den Schnee von sich ab und ging direkt auf die Trailways-Station zu.
Am Schalter sah ihn das dicke Gesicht eines Vierzigjährigen fragend an, der nervös mit dem rechten Zeigefinger auf die Durchreiche klopfte. Es ersetzte unmissverständlich die Worte seiner Ungeduld. Dane sah in seine Augen und fragte nach einer Fahrkarte. „Wohin“, fragte der Schalterbeamte kurz. Dane sah zur Seite auf ein Plakat – Mile High City im Winter. „Denver“, antwortete er immer noch abwesend. „Ich möchte gerne eine Fahrkarte nach Denver.“
„Fünfunddreißig Dollar“, antwortete der Dicke tonlos, als redete er mit einem Ziegelstein. Taxierend betrachtete er sein Gegenüber und wusste, dass dieser Mann die Fahrkarte nach Denver nicht bezahlen konnte – wie so viele, die im Winter hierher kamen und so aussahen wie er.
Dane fühlte die Abgeschlagenheit in seinem Gesicht und wusste, dass er wie ein Bettler aussah. Wie weit würde er in diesem Aufzug schon kommen? Er winkte dem Mann hinter dem Schalter ab und suchte den Warteraum der Trailways-Station auf. Das Verlangen nach Schlaf holte ihn wieder ein. Seine Zehen schmerzten von der Kälte. Es hinderte ihn nicht daran, zehn Minuten später zusammenzusacken und einzuschlafen.
Dane spürte einen festen Griff an seiner Schulter, der ihn wachrüttelte. Er fuhr erschrocken hoch. Ein großer untersetzter Mann, der Busfahrer, stand vor ihm. „Wollen Sie mitfahren?“
Dane blinzelte. Er hatte die Worte nicht verstanden. Verstört versuchte er sich zu erinnern, wo er war. Der Busfahrer wiederholte seine Frage lauter. Dane schaute auf. „Ja, ich möchte gerne mitfahren, aber ...“ Er kam hoch und richtete sich auf. Sein Hals tat weh, und er musste wieder husten – trocken und schmerzend in die Lungen hinein. Langsam wurde ihm klarer. Er erinnerte sich wieder an die Busstation und an das dicke Gesicht des Schalterbeamten.
Nach einem aufreibenden Hustenanfall und einigen distanzierten Blicken des Mannes vor ihm, konnte er weitersprechen: „ ... aber mir ist da etwas passiert, das mich in eine sehr missliche Lage gebracht hat.“
Der Busfahrer nickte gleichgültig. Er kannte die Sprüche der Schnorrer, die eine Fahrkarte erbetteln wollten. Doch es unterlag seiner Pflicht, alle hier Wartenden nach der Mitreise zu fragen, damit kein Reisender vergessen wurde.
Die Warteräume der Station waren zu dieser Jahreszeit immer überfüllt. Da war es wichtig, gründlich zu arbeiten. Das tat auch die Polizei. Zweimal am Tag kehrte sie hier ein und entfernte Bettler und Obdachlose, damit die Kunden des Unternehmens Platz fanden.
Der Busfahrer wusste, dass dieser Mann vor ihm einer von diesen Obdachlosen war und winkte desinteressiert ab. Er konnte mittlerweile Bücher über deren Geschichten schreiben. Nein, danke. Er ging zum Ausgang, denn er war der Geschichten nach dreiundzwanzig Jahren Dienst überdrüssig. Doch am Ausgang hielt er plötzlich inne. Wie lange war es her, als er sich die letzte Geschichte angehört hatte? Drei Jahre? Oder vier? Womit mochte heute ein Bettler aufwarten, um sich eine Fahrkarte in die Wärme zu verschaffen? Oder war es, weil dieser Mann nicht bettelnd hinter ihm herlief, wie es üblich war? Dieser Mann hatte aufgehört zu reden, als er sich abwendete. Das war nicht die Regel, das war interessant. Auch der Blick des Mannes war so ... so echt – traurig. Der Busfahrer drehte sich um. „Was ist Ihnen passiert“, wollte er wissen und kam wieder zurück. Dane sah müde auf. „Ist schon in Ordnung. Es ist einfach zu .... Sie werden mir sowieso nicht glauben.“
„Sie haben kein Geld, nicht wahr?“
„Ja.“
„Das glaube ich Ihnen ungesehen.“ Der Busfahrer kam näher und baute sich breitbeinig vor ihm auf. Das munterte Dane auf, und er sah eine echte Chance. Jetzt musste er gut sein – so gut wie lange nicht mehr. Es ging vielleicht um mehr als nur sein Leben. Es war so ein komisches Gefühl. Und er redete: „Ich sag es so, wie es ist. Ist ja auch egal. Es klingt so oder so ziemlich albern, und eigentlich kommt es nicht darauf an, wem ich es erzähle.“
„Vielleicht will ich es hören.“
„Damit Sie eine neue Variante des Bettelns kennenlernen?“
„Möglich. – Wie lautet Ihre Variante?“
„Haben Sie so viel
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