Das blaue Haus (German Edition)
Zeit?“
„Dauert Ihr Betteln so lange?“
„Ich finde es ziemlich albern, hier mit Ihnen zu stehen und so ein Gespräch zu führen.“
„Das kommt darauf an, wie sehr Ihnen an der Mitfahrt liegt. Können Sie mich überzeugen?“
Dane schüttelte müde den Kopf.
„Versuchen Sie es“, drängte der Busfahrer. Seine Haltung verlor dabei etwas an Bedrohlichkeit. Seine Überheblichkeit ließ deutlich nach, auch sein barscher Ton. „Wissen Sie, Sie sind anders als die Anderen. Ich möchte Ihre Geschichte hören.“
„Ich komme aus Denver“, begann Dane.
„Da wollen Sie wieder hin, nicht wahr?“
Dane nickte und fuhr fort: „Ich bin Geschäftsmann und besitze ein Lokal. Ich hatte geschäftlich hier zu tun, auch wenn ich nicht so aussehe.“
„Sie sehen wirklich nicht wie ein Geschäftsmann aus. Was ist mit Ihrer Kleidung?“ Der Busfahrer wusste, dass ihm schon bald die Argumente ausgehen würden. Die Bettler waren meistens nicht sehr schlau.
„Dies ist nicht meine Kleidung. Meine Kleidung hat jemand anderes. Genau wie dieser Jemand mein Geld hat, und mein Auto, und überhaupt alles. Ist Ihnen das konfus genug? Naiv genug? Dumm genug, um mir eine Abfuhr zu erteilen? Machen Sie es schnell. Es hat alles schon lange genug gedauert.“
„Reden Sie weiter. Ich will Ihre Widersprüche herausfinden. Dann kann ich Sie eigenhändig von hier entfernen, und Sie brauchen nicht auf die Polizei zu warten.“
„Die Polizei?“ Dane erschrak.
„Ja, die Polizei. Haben Sie etwa Angst davor? Ich meine, wenn Sie alles verloren haben, ist die Polizei gerade recht.“
„Sie können mir glauben“, fuhr Dane irritiert fort und schielte an dem Busfahrer vorbei zur Glastür. „Die Sache ist kurz und einfach. Meine Frau hat mich vorgestern aus Denver angerufen und mir mitgeteilt, dass wir ein Kind erwarten. Was dann an dem Abend so fröhlich begann, endete für mich ziemlich böse. Ich habe mich sehr gefreut über die Nachricht meiner Frau und bin feiern gegangen – in ein falsches Lokal mit falschen Leuten. Ich kenne mich nicht so gut aus, hier in Kansas City. Ein Taxifahrer gab mir gegen gutes Geld“, Dane rieb seinen Zeigefinger gegen den Daumen, „die Auskunft, dass das Quiet Flash auf der Siebenundzwanzigsten ein recht nettes Restaurant für Geschäftsleute wie mich sei. Ich vertraute ihm und ließ mich dort hinbringen. Was diese netten Leute mit mir getan haben, sehen Sie hier.“ Dane öffnete die Jacke, und der Busfahrer nahm die auffallend misslungene Mischung von Hemd, Wollpullover und Jackett nickend zur Geltung, ebenso den Geruch, der aber nicht so penetrant war, wie es sonst bei Bettlern der Fall war. Was ihn beeindruckte, war die Kleidung unter dem Pullover.
Stolz erzählte Dane von seinem Seidenhemd, wobei er einen Zipfel unter dem Pullover hervorholte und den Busfahrer fühlen ließ. Er erzählte weiter von seiner teuren Twillhose von Bogner, seinem Jackett von Armani, seiner Unterwäsche von Calvin Klein und zeigte auf die schwarzen Schuhe von Hush Puppies aus Deutschland. Der Busfahrer war sichtlich beeindruckt. Das war nicht die Kleidung eines Bettlers. In welchem Container ließ sich eine solche Qualität finden? Und welcher Bettler zog an hundskalten Tagen Sommerschuhe von Hush Puppies an? Winterschuhe ließen sich immer und überall in den Mülltonnen finden – gerade nach Weihnachten. Es musste schon etwas an der Geschichte dieses Mannes dran sein. Er hatte eine gewählte höfliche Aussprache und roch weder nach Alkohol noch nach Zigaretten. Er roch nach Hunger, was bei Bettlern auch nicht so die Regel war.
„Ich habe seit zwei Nächten nicht mehr geschlafen und bin halb erfroren“, ergänzte Dane schnell, als er sah, wie interessiert der Busfahrer seine Geschichte aufzunehmen schien.
„Aber was ist mit Ihrer Unterkunft? Haben Sie kein Hotel gehabt? Die müssen Sie doch wiedererkannt haben.“
„Fehlschlag. Die haben mich in diesem Aufzug gar nicht mehr hineingelassen, und mein Zimmer war auch gekündigt. Man sagte mir, ich sei bereits vor zwei Tagen abgereist. Wer auch immer das war, er hat saubere Arbeit geleistet. Ich war wohl zu gesprächig an diesem Abend gewesen. Selbst meine Kreditkarten sind bis zur Kreditgrenze missbraucht. Das habe ich noch von meiner Bank erfahren können. Ich brauchte sie nicht mehr sperren zu lassen. Sie waren bereits seit zwei Stunden von der Bank gesperrt worden.“
Können Sie sich an gar nichts mehr erinnern von dem Abend?“
Dane schaute traurig zu Boden und
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