Das blaue Haus (German Edition)
wichtigen. Die Innerlichen waren es, die gefährlich waren, das wusste Ragee – schon immer, seit er denken konnte. Leider konnte er nichts bei dem Mann erkennen. Er sah irgendwie heil und geschunden zugleich aus, was bei Ragee höchste Aufmerksamkeit erweckte. Dieser Mann sollte für ihn interessanter werden, als er es sich vorstellen konnte und wollte. Und doch ahnte er es bereits. Er lächelte Dane an.
Dane hatte nur Chaos wahrgenommen. Das Chaos der vielen Leute, die auf ihn eingeredet hatten; dann der Arzt, der ihn in die Dunkelheit geschickt hatte, in die er nicht wollte. Danach war es lange still geworden.
Die ersten Geräusche, die er danach wahrnahm, klangen hohl und weit weg. Er blinzelte, als die Beruhigung nachließ. Zuerst sah er nur Nebel, und er dachte an seine Taufe. Dann wurde alles deutlicher und bekam Konturen. Er wurde nervös und versuchte, langsam den Kopf zu heben. Es war keine Taufe. Wo war er? Alles war anders als eben im Bus – andere Geräusche, ein anderer Geruch, kein Traum mehr. Wo war der Busfahrer?
Er sah in zwei alte Augen, die ihn hinter einer dicken Brille anlächelten. Es waren nicht die Augen des Busfahrers – überhaupt keine Augen, die er kannte. Dieser Mann war fremd, und es fehlte ihm ein Zahn in der oberen Reihe. Dane erschrak. Er stieß einen leichten Schrei aus. Dann kam er hoch, der grelle Schrei einer tiefen Verzweiflung, schmerzhaft und betäubend! Er riss sich die Nadel aus dem Arm und fuhr mit seinen Händen wirr durch das Haar! Der Schrei war endlos und ließ den alten Mann entsetzt in eine Ecke zurückweichen. Schwere Verletzungen, dachte er und beobachtete das hysterische Aufbegehren des jungen Mannes vor ihm mit höchster Aufmerksamkeit.
Dane versuchte aufgebracht, das Bett zu verlassen, was ihm nicht gelang. Er wand sich schreiend zur Seite und fiel mit einem dumpfen Knall zu Boden. Der Alte war entsetzt und zu langsam, um ihn vor dem Sturz zu bewahren. Die Zimmertür sprang auf, eine Krankenschwester und ein Pfleger kamen hereingerannt.
Dane sah zwei weiße Gestalten und schlug auf sie ein, als sie ihm zu helfen versuchten. Die Krankenschwester wich erschrocken zurück. Das musste sie, sie war im vierten Monat schwanger.
Dane konnte das Schreien nicht stoppen. Es entglitt ihm wie ein Schwall höchster Übelkeit. Nie wieder wollte er in einer Psychiatrie landen! Nie wieder! Er schrie und schlug, bis der Pfleger ihn schließlich zu fassen bekam und durch seine zweifellos größere Kraft zurück in das Bett drückte. Dane hörte Worte auf sich einhageln – beruhigende Worte, doch er wollte sie nicht verstehen. Niemand durfte ihn hier festhalten!
Der alte Mann lächelte und setzte sich wieder gefasst auf sein eigenes Bett. Er nickte. Mit Danes Schreien war ihm vieles klar geworden, und er fühlte sich erregt und herausgefordert zugleich, mit diesem Mann in einem Zimmer zu sein, einem ganz besonderen Mann. Hier war er richtig – bei ihm. Einen besseren Zimmergenossen hätte er nicht finden können.
Während die Schwester verschwand, um Hilfe zu holen, drückte der Pfleger Dane an sich, wie eine Mutter ihr Kind. Das ist gut, dachte der alte Mann, das braucht er. Doch es half nicht; Dane konnte sich einfach nicht beruhigen. Er sah die weißen Wände, den Pfleger, den alten Mann; er roch die Medikamente, sah das weiße Bett. Es war nichts da, das ihm nur annähernd zeigen sollte, dass er sich in einem ganz normalen Krankenhaus befand.
Es waren die Worte des alten Mannes, die ihn schließlich beruhigten. Gezielte Worte. Und Ragee wusste, wovon er sprach. Er sagte: „Du bist in Junction City bei Dr. Bauer im Krankenhaus, einem ganz normalen Krankenhaus, genau wie ich. Sieh da, ich habe meinen Arm gebrochen und muss ihn hier heilen lassen. Und ich freue mich, dass du da bist und mit mir reden kannst, bis wir beide wieder gehen können.“ Der Alte zeigte seine Armschiene und lächelte.
Die Worte, die er so gezielt an Dane richtete, nahmen ihm den Schock, und er hörte auf zu schreien. Hechelnd sah er den alten Mann hinter der dicken Brille an, sah das Zimmer, das so ganz anders aussah als das in Heaven. Die Tür hatte eine Klinke von innen und die Fenster keine Gitter.
Der alte Mann hatte recht, er war nicht in Heaven, aber auch nicht in Sicherheit. Er war irgendwo dazwischen und konnte sich nicht erinnern, freiwillig hierhergekommen zu sein. Krankenhaus, nannte es der alte Mann –, er war in einem Krankenhaus. Dane spürte, wie der Pfleger langsam den Griff
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