Das blaue Haus (German Edition)
machte ihm zu schaffen.
Nichts von alledem, was der Arzt ihm sagte, war ihm bekannt. Er schwieg und versuchte sich zu erinnern, es klappte nicht. Bittend sah er in die Augen des Arztes, der sofort verstand und sich erhob. „Schlafen Sie erst noch einmal. Danach sehen wir weiter.“
Dane sank in die Kissen und schlief wieder ein. Er war in keiner Psychiatrie.
Ragee, der eigentlich Raimund Geers hieß, wusste mit der ersten Reaktion von Dane schon, dass er ein ehemaliger Patient aus einer Psychiatrie sein musste.
Sein bester Freund Hans, der vor vielen Jahren aus Deutschland gekommen war, hatte die gleichen Angstzustände nach einem Schlafmittel in einem Krankenhaus wie dieser Alan Dingsda gezeigt. Hans war in einer Psychiatrie gewesen. Er hatte ein dreijähriges Kind in Junction City totgefahren – schuldlos, aber die Anderen hatten es anders gesehen und ihn schließlich in eine Psychiatrie in Salina gejagt, aus der er erst zehn Jahre später wieder herausgekommen war. Die Medikamente waren seitdem zu seiner festen Nahrung geworden. Die hatten dann irgendwann sein Herz überlastet, und er war schnell und schmerzlos mit Sechsundsechzig gestorben, was man so sterben nennen konnte. Ragee nannte es verrecken. Er hatte Hans viele Jahre in der Klinik besucht und dann sein langsames Sterben zu Hause weiter begleitet. Hans war sein bester Freund gewesen, und mit dessen Tod war ein unbeschreiblich großer Verlust in sein Leben getreten.
Ragee sah Dane an, der nach dem Gespräch mit Dr. Bauer wieder erschöpft eingeschlafen war. Da lag Hans – der junge Hans. Auch er hatte einen Vollbart gehabt, allerdings etwas gepflegter, aber die Gesichtszüge waren fast gleich. Sie versuchten einen tiefen Schmerz und Verzweiflung zu verbergen.
„Schlaf nur, Alan. Das wird dich ruhiger machen“, flüsterte der alte Mann und sah in die kommende Nacht des 31. Dezember 1996.
*
Es waren die Geräusche des Alltags in einem Krankenhaus, die Dane und Ragee gleichzeitig am nächsten Morgen aufwachen ließen. Dane war seit gestern nach dem Gespräch mit Dr. Bauer nicht mehr wach geworden, auch in der Nacht nicht. Sein Körper war ausgelaugt und schwach geworden und hatte nach stundenlanger Ruhe verlangt.
Ragee stöhnte und suchte nach seiner Brille, die schon zweimal mit Klebeband geflickt war und irgendwo auf dem Nachtschrank liegen musste.
Dane öffnete die Augen und sah zum Infusionsständer hinauf. Es hingen nun vier leere Flaschen und eine halbleere dort oben, die noch in seinen Arm träufelte. Das Fieber war etwas zurückgegangen. Man hatte ihm einen Katheder gelegt, was ihm sofort unangenehm auffiel.
„Hallo, Alan.“
Dane sah auf und zu dem alten Mann herüber. „Hy.“ Er konnte sich nicht mehr an gestern erinnern, auch nicht an die Augen hinter der dicken Brille, die ihn in das Chaos geschickt hatten.
„Hast du gut geschlafen, Junge?“ Der alte Mann kam mühsam hoch und ließ die Füße ins Freie baumeln. Es waren alte Füße, durchzogen mit vielen dunklen Adern und gichtähnlichen Beulen. Sie waren gerade so groß, dass sie zu dem schlaksigen alten Körper passten. Der Pyjama verbarg ein arbeitsreich gebeugtes Leben und Gutmütigkeit.
„Ich bin nicht Ihr Junge“, antwortete Dane tonlos. „Ja, danke, ich habe gut geschlafen.“ Er sah wieder zu den Flaschen hinauf und dachte widerwillig ans Wasserlassen.
Ragee begann zu lachen. „Dein Schlaf war nötig.“
Dane schwieg. Er wollte nicht mit diesem alten Mann sprechen, musste erst einmal wieder richtig zu sich kommen und die Situation einschätzen. Und doch verwickelte dieser alte Mann ihn in ein Gespräch: „Weißt du, warum du hier bist?“
„Ja, ich glaube schon.“
„Glauben heißt nicht wissen.“
„Ja, ich weiß es.“
„Das ist schon besser. Du musst immer wissen, was du sagst. Das ist ganz wichtig, sonst drehen sie dir einen neuen Strick daraus.“
„Was für einen Strick?“
„Stricke, die du getragen hast.“
Dane starrte den alten Mann an.
„Ich heiße Ragee, das heißt, eigentlich Raimund Geers, aber man nennt mich hier Ragee – schon immer. Ich bin in Junction City, seit es Junction City gibt. Sozusagen einer der Ältesten des Ortes.“
„Wo liegt Junction City?“
„Du weißt nicht, wo du bist?”
Dane schüttelte den Kopf. „Ich hatte Fieber, als ich hier reinkam. Ich saß in einem Bus. Ich weiß nicht, wo der Bus angehalten hat.“
„In Kansas. Du kennst Junction City nicht? Du bist nicht weit gekommen mit deinem Bus. Gerade vierzig Meilen. Da
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