Das blaue Haus (German Edition)
gewonnen.
Als Dane das Zimmer betrat, war Ragee nicht da. Ein nagelneuer dunkelblauer Freizeitanzug lag auf seinem Bett. Ein paar neue Schuhe standen auf dem Boden. Dane sah auf die Badelatschen, die er trug, die Ragee ihm geliehen hatte. Sie hatten die gleiche Schuhgröße, sogar fast die gleiche Körpergröße – seltsam. Dane wollte sich freuen, fühlte aber erneut eine Beklemmung aufkommen. Er dachte an Ragees Worte: Du musst das Nehmen lernen. Wie einfach war das Nehmen? Wie sollte er herausfinden, wo die richtige Grenze für ihn war, was sich gehörte, und was er wirklich wollte? Das hatte er nie gelernt. Er wusste, dass er dieses Geschenk nicht wollte, und doch lag es da – für ihn. Es sah aus, als sei es mit Liebe ausgesucht und auf sein Bett gelegt worden – von Ragee – durch Julie.
Dane betrachtete den Anzug und musste zugeben, dass er wirklich gut aussah. Vielleicht sollte er ihn doch annehmen. Im Ganzen war es doch eine gute Sache, die ihm nur von Vorteil sein konnte, auch wenn Ragee sie bestimmte.
Dane ging zum Fenster und sah sich die niederschwebenden Schneeflocken an. Dann freute er sich.
Nach einer kurzen Dusche zog er den Freizeitanzug an und fühlte sich so gut wie lange nicht mehr. Nun wollte er sehen, was diese Entscheidung ihm bringen würde, und er wartete auf Ragee. Der aber kam den ganzen Nachmittag nicht mehr zurück. Dafür kam Julie, seine Pflegetochter – die Krankenschwester. Sie lächelte, als sie Dane in dem Anzug sah. Er stand ihm wirklich gut, wie ihm alles gutstand, was sie gekauft hatte.
Dane sah ihr Lächeln und dachte wieder an Sarah. Julie war zu jung, aber hübsch.
„Hallo“, sagte sie in gehobener Stimmung und schloss die Tür hinter sich.
„Hy. Ragee ist nicht da“, sagte er mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Die Situation war ihm peinlich. Er wusste, dass Julie den Anzug, den er nun trug, ausgesucht hatte. Wieder war es da – dieses Unbehagen. Er trug fremde Kleidung, Almosen, die er nicht wollte. Julie unterbrach seine Gedanken: „Ich wollte auch nicht zu ihm.“
Damit war Dane die Situation noch peinlicher, und ihm schwante etwas, das er zurzeit überhaupt nicht gebrauchen konnte. Ihm entglitt ein erstickendes „Aha“, und eine tiefe Falte malte sich auf seine Stirn.
Julie war nicht im Dienst. Sie hatte ihr Krankenhausdress gegen eine Jeans und ein rotes Sweatshirt getauscht. Dane sah, dass sie keine Ohrringe trug. Das blonde Haar hatte sie zu einem Zopf zusammengeflochten, so wie es seine Mutter immer zur Nacht getan hatte. Doch ihr Haar war dicker ge-wesen als das von Julie – und dunkel wie seines.
„Steht Ihnen gut“, brach Julie das Schweigen, in das er sich hüllte.
„Was?“
„Der Anzug.“
Dane nickte. Sicher, der Anzug. „Danke. Von Ihnen?“
„Nein, von Ragee – von mir gekauft. Er mag Sie.“
Dane musste sich setzen. Er sah wieder hinaus in den Schnee, die einzige Kulisse, die sich für ihn bot. Er dachte über Julies Worte nach. Wann zum letzten Mal hatte ihn wirklich jemand gemocht – so auf Anhieb?
Julie tänzelte unruhig an der Tür herum. Sie war etwas enttäuscht, dass er sie nicht zu sich an das Fenster bat. Es waren doch zwei Stühle dort. Dieser Alan aber schaute nur aus dem Fenster und schien sie gar nicht wahrzunehmen. Sie räusperte sich nervös. Dane sah wieder zu ihr hin. Er dachte an Sarah, die ihn auch auf Anhieb gemocht hatte. Aber leider nur so, wie er eigentlich nicht sein konnte. Auch Johnathan und Jim hatten ihn gemocht – auf Anhieb. Jetzt war es Julie. Alle mochten ihn auf Anhieb und zum Schluss überhaupt nicht mehr, dann, wenn er zeigte, wie er wirklich war. Ragee wusste, wie er wirklich war. Zumindest hatte er das noch vor einigen Stunden behauptet. Wie würde es aber erst aussehen, wenn Ragee ihn so erleben würde? Die Zeitungen mochten viel über ihn geschrieben haben. Was konnte man davon glauben? Und was glaubte Ragee davon? Vielleicht gar nichts? Er konnte überhaupt nicht wissen, wie er wirklich war. Vielleicht war es doch nur das Gefasel eines einsamen alten Mannes.
Julie räusperte sich ein zweites Mal. Dane sah ihr in die Augen, die ihn gequält anlächelten. Gott, wo waren seine Manieren? Gestikulierend bot er ihr den gegenüberstehenden Stuhl am Fenster an und entschuldigte sich mehrfach. Er dachte wieder an Ragee. Welchen Stellenwert mochte das Wort „mögen“ in seinem Leben haben? Mochte er alle Menschen, vorurteilslos und grundsätzlich? Und er, Dane, war nur einer von ihnen, von
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