Das blaue Haus (German Edition)
tanzenden Schatten wurden zu tanzenden Lichtpunkten. Er schlief ein.
*
Ragee war schon früh auf den Beinen. Draußen war es noch dunkel. Der Sturm hatte sich gelegt und Neuschnee die Spuren des Vortages unter sich begraben.
Das hört wohl gar nicht mehr auf, dachte der alte Mann, und dass es schon viele Jahre nicht mehr so viel Schnee in Kansas gegeben hatte. Mit Dane war vieles anders geworden.
Ragee hatte kurz an Danes Zimmer gehorcht und war dann leise die Treppe hinuntergeschlichen, um den Duft von frisch gekochtem Kaffee im Haus zu verbreiten. Die Nacht war nicht so erholsam gewesen, wie er es sich gewünscht hatte. Seine Armschiene war lästig, auch beim Waschen und Anziehen. Er entzündete drei Petroleumlampen im Wohnraum und schaltete das Elektrolicht in der Küche ein. Lächelnd sah er zu der Glühbirne und dachte an gestern Abend – Elektroheizung. Julie hatte dafür gesorgt, dass in der Küche keine Petroleumlampe mehr herumstand. Die Gefahr, dass sie umkippen und einen Brand verursachen konnte, war zu groß. Jetzt war es ihm plötzlich unheimlich – dieses Elektrolicht von Julie. War sie etwa auch eine von denen, die den kalten Strom verbreiteten? Nein! Niemals! Niemals seine Julie. Sie war anders. Ganz gewiss. Sie hatte es aus Vorsicht getan, aus Liebe zu ihrem Vater. Da war sich Ragee ganz sicher.
Er musste wieder lächeln und schüttelte verdrossen den Kopf. Dane brachte wirklich viel frischen Wind in sein Haus.
Dane hörte das Pfeifen eines Wasserkessels und schrak hoch. Er sah das fremde Zimmer und roch Petroleum und Kaffee – eine widerliche Mischung, wie er fand. Er sah zum Fenster. Draußen war es noch dunkel, die linke Scheibe war verschmiert. „Abgelegt“, sagte er leise zu sich und versank plötzlich in das Gesicht seiner Mutter. Es war nicht mehr so schön anzusehen, wie er es gestern noch in Erinnerung gehabt hatte. Sie sah plötzlich alt und verhärmt aus.
„Dane!“, rief Ragee von unten und holte Dane aus den Gedanken. Er zog sich etwas über und tapste fröstelnd die Treppe hinunter.
„Hallo, Junge“, begrüßte ihn Ragee. Sein weißes Haar stand ungekämmt vom Kopf ab.
„Hallo, Ragee“, sagte Dane und verschwand im Bad. „Kann ich noch duschen?“, rief er aus dem Bad. Ragee rief: „Klar“, und Dane wusch die Nacht von sich herunter.
Ragee deckte inzwischen den Frühstückstisch und briet Eier und Speck. Der Toaster war defekt, das Toastbrot lag jetzt im Backofen. Er dachte an die vergangene Nacht. Dane war im Nebenzimmer herumgeschlichen, das hatte er gehört. Die Bodendielen waren alt und knarrten bei jedem Schritt. Die Dusche verstummte, und der Elektrorasierer erklang. Ragee lächelte zufrieden. Er wendete den Speck und die Eier und dachte daran, wie schön es war, wieder die Geräusche eines Menschen um sich zu haben.
*
Julie hatte wieder von Alan geträumt. Ihr Atem ging schwer, als sie erwachte. Ihr Tagesdienst begann erst um halb neun. So beschloss sie, kurzerhand das Frühstück bei Ragee einzunehmen ... und bei Alan natürlich – überhaupt bei Alan. Sie nahm den Telefonhörer und rief ihren Vater an.
„Hallo Julie, mein Schatz“, sagte er fröhlich.
„Ist Alan wieder bei dir eingetrudelt?“
„Aber klar. Ich sagte dir doch, du musst ihm Zeit geben.“
„Wie ist es mit einem Frühstück zu dritt?“, fragte sie unbefangen und erwartungsvoll.
Ragee stutzte. Das gestrige Gespräch verlangte noch nach einem allumschließenden Abschluss. Das Frühstück wäre ein idealer Zeitpunkt dafür. Dane schien guter Laune und hatte sicher noch einiges dazu zu sagen. So überlegte sich der alte Mann eine Antwort, die Julie nicht allzu sehr enttäuschen würde: „Gib uns Zeit, uns Männern. Wir haben hier einiges zu regeln, damit Alan sich wohlfühlt. Es geht ihm nicht besonders gut. Ich wäre beim Frühstück gerne alleine mit ihm. Danach rufe ich dich direkt an.“ Er dachte an Danes Worte gestern: Ich will nicht über Julie sprechen.
„Das könnt Ihr doch später noch. Ich muss sowieso nach acht los.“
„Bis dahin müssen wir aber alles geklärt haben.“
„Gott, was gibt es denn so Wichtiges?“
„Ich würde mit Alan gerne nach Salina fahren.“
Julie wusste nicht, wie sie die Worte verstehen sollte. Sie wurde blass, und die Knie sanken ihr weg. „Doch nur für heute, oder?“, fragte sie irritiert.
„Julie …“, er stotterte und wollte sie nicht belügen.
„Was hast du vor?“, fragte sie energisch.
„Ich würde schon gerne länger mit ihm dort
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