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Das blaue Mädchen

Titel: Das blaue Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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fest.
    »Jana, bitte!«
    »Was?« Sie machte sich von ihm los.
    Er knetete hilflos seine großen Hände. Es waren die Hände, die Mara gestreichelt hatten. Das sah man ihnen nicht mehr an.
    »Sprich mit mir«, sagte er. »Tu nicht so, als wär ich unsichtbar.«
    Sie sah ihm wütend in die Augen.
    »Worüber?«
    Er antwortete nicht, fuhr sich nur mit den Fingern durchs Haar.
    »Übers Wetter?«, spottete Jana. »Über die Arbeit?«
    Er schüttelte den Kopf und beinah tat er ihr Leid.
    Sie kniff die Augen zusammen. »Oder wollen wir über Mara sprechen? Darüber, dass sie wahrscheinlich krank ist vor Einsamkeit, während dein Leben sich kein bisschen verändert hat?«
    Er zuckte zusammen wie unter einem Schlag.
    »Oh ja«, sagte Jana. »Wunderbare Gespräche könnten wir führen. Aber mir ist nicht danach. Und jetzt geh mir aus dem Weg!«
    Er trat zur Seite. Jana ging an ihm vorbei und kehrte zu ihrer Arbeit zurück. Wenn sie aufsah, konnte sie Timon hobeln sehen. Ruhig und gleichmäßig. Er hob nicht ein einziges Mal den Kopf.

    Die Kühe waren gemolken, die Milchkannen auf dem Anhänger des Traktors verstaut. Marlon war immer wieder zum Zaun gegangen und hatte zu den Kindern des Mondes hinübergespäht. Er hatte das Mädchen nicht gesehen. Nun versuchte er es ein letztes Mal. Sein Vater, der schon am Steuer des Traktors saß, rief ungeduldig nach ihm.
    Pech. Heute würde es nichts mehr werden.
    »Was hast du nur für Hummeln im Hintern?«, fragte der Vater. »Dein Herumgerenne hat die Kühe richtig nervös gemacht.«
    »Stress in der Schule«, wich Marlon aus.
    »Fällt dir das Lernen schwer?« Der Vater hatte nie Zugang zu Büchern gefunden. Marlon sah ihn manchmal Zeitung lesen oder Kataloge studieren, doch selbst das schien ihm keine rechte Freude zu machen. Die meisten Informationen bezog er übers Fernsehen.
    »Eigentlich nicht. Ich habe nur weniger Zeit dafür als die andern.« Das sollte kein Vorwurf sein, aber offenbar kam es so an.
    »Ich habe mir dieses Leben nicht ausgesucht«, verteidigte sich der Vater. »Bin da reingeboren worden, genau wie du.«
    Marlon hatte große Schwierigkeiten mit dem zeitweiligen Fatalismus seines Vaters, der immer häufiger durchbrach. Vielleicht verlor man mit den Jahren die Entschlossenheit, das Leben nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten, selbst wenn es sich oft dagegen zu sträuben schien. Vielleicht war man irgendwann froh, wenn man wenigstens noch einen Teil seiner Pläne in die Tat umsetzen konnte.
    »So war das nicht gemeint, Papa.« Marlon hätte gern die Hand seines Vaters genommen und sie gedrückt. Er tat es nicht. Ihm wurde klar, dass er nicht mehr wusste, wie sie sich anfühlte. Er konnte sich an das Kratzen erinnern, wenn der Vater ihm früher übers Gesicht gestrichen hatte. Und dass er als kleiner Junge überzeugt war, man wäre erst dann ein Mann, wenn man rissige, schwielige Hände hatte.
    Verstohlen betrachtete er die Hände seines Vaters auf dem Lenkrad. Ihre Haut war braun und rau wie Schmirgelpapier. Der kleine Finger der rechten Hand war nach einem Unfall schief geblieben. Marlon beugte sich vor. Ehe er wusste, wie ihm geschah, hatte er seine Hand auf die rechte Hand des Vaters gelegt. Er zog sie wieder weg und räusperte sich.
    Der Vater sah hinaus.
    »Wir werden Regen kriegen«, sagte er.

    Mara lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und fing an zu schreien.
    Sie hörte den lang gezogenen, schrillen Ton wie etwas, das nichts mit ihr zu tun hatte.
    Dann sah sie die Tür aufgehen.
    Sie sah Elsbeth und Karen, die mit ausgestreckten Armen langsam auf sie zukamen.
    Mara ließ sich an der Wand niedersinken. Sie schrie und schrie.
    Karen und Elsbeth packten sie und trugen sie auf das Bett.
    »Tut dir was weh?«, fragte Elsbeth.
    Mara schrie.
    Sie zogen sie mit geübten Handgriffen aus, deckten sie zu, verließen das Zimmer und schlossen die Tür hinter sich ab.
    Mara hörte auf zu schreien. Sie wimmerte nur noch. Ihr Haar war schweißnass, ihre Kehle wie entzündet. Sie hätte gern geweint. Aber nicht einmal dazu hatte sie mehr die Kraft.

Spürst du, dass ich an dich denke, Mara?
    So viele Briefe habe ich dir schon geschrieben. Ich bilde mir einfach ein, dass du sie liest.
    Du fehlst mir so. Manchmal höre ich dein Lachen, und wenn ich mich umdrehe, bist du gar nicht da. Und manchmal meine ich dich von weitem zu sehen, und wenn ich genau hingucke, merke ich, dass es ein anderes Mädchen ist.
    Wenn du erst wieder draußen bist, werde ich dich ganz

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