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Das blaue Mädchen

Titel: Das blaue Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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fest in die Arme nehmen. Und wenn du willst, kannst du nachts bei mir im Bett schlafen, so wie früher, und ich werde dich vor deinen Träumen beschützen.
    Die Disko war in einem heruntergekommenen Gebäude am Rand des Orts untergebracht. In grellblauer Leuchtschrift war ihr Name,
Paradies
, über den Eingang geschrieben. Die Neonröhren des ersten
a
und des
e
waren durchgebrannt, sodass nun
Pradis
auf dem roten, schadhaften Klinker stand. Das war schon so lange so, dass der falsche Name sich mit der Zeit eingebürgert hatte. Man verabredete sich fürs
Pradis
. Den wenigsten war die eigentliche Bezeichnung überhaupt noch geläufig.
    Das passte haarscharf zum desolaten Zustand von Marlons Zuhause. Alles ist kaputt, dachte er, alles geht den Bach runter. Er schlängelte sich durch das Getümmel und fand seine Freunde am Ende der Theke. Sie tranken Bier und betrachteten die Tanzenden. Das Licht brach sich in der riesigen Diskokugel, die sich an der Decke drehte, und flimmerte über die Wände und die Gesichter.
    »Er kommt spät.« Marsilio schlug Marlon auf die Schulter.
    »Aber er kommt.« Tim streckte Marlon die Hand hin. »Was trinkst du?«
    »Cola«, sagte Marlon.
    Sie verzogen das Gesicht, äußerten sich aber nicht dazu. Marlon vertrug nichts. Mal ein Bier, höchstens zwei, zu mehr konnte man ihn nicht überreden. Ein einziges Mal hatten sie ihn abgefüllt und das war ziemlich peinlich ausgegangen. Marlon hatte es nicht mehr rechtzeitig auf die Toilette geschafft und die Disko voll gekotzt. Er war halb besinnungslos gewesen und sie hatten ihn nach Hause bringen müssen. An den Blick seiner Mutter erinnerten sie sich nicht gern. Sie hatte sie angesehen, als hätten sie ihrem Sohn Heroin verkauft.
    Die Gesichter hier kannte Marlon alle. Es war nicht viel los in dieser Gegend. Ab und zu verirrte sich ein gelangweilter Vertreter ins
Pradis
, der seinem tristen Zimmer in der einzigen Pension des Orts für ein paar Stunden entfliehen wollte. Sie suchten jedoch schnell wieder das Weite.
    Marlon konnte das verstehen. Einige Male war er mit Marsilio und Tim in die Stadt gefahren und hatte die Diskos dort kennen gelernt. Es war ein Unterschied wie Tag und Nacht. Allein die Technik, die sie dort hatten, war überwältigend. Diskjockeys, die ihren Job beherrschten. Ein unerschöpfliches Repertoire an Musik. Das irre, in allen Farben sprühende Licht, das die Räume aussehen ließ wie überdimensionale Aquarien oder wie das Innere eines hypermodernen Raumschiffs.
    Und erst die Besucher! Sie waren Marlon vorgekommen wie Wesen aus einer anderen Dimension. Perfekt gestylt. Jeder ein eigenes Kunstwerk. Ihre Art zu tanzen war so vollkommen, als hätten Choreografen die Hände im Spiel gehabt. Feuer und Eis. Explosionen von Rhythmus, Tempo und sexueller Energie.
    Dagegen war das, was sich hier auf der Tanzfläche versammelt hatte, ein müder Haufen. Die Zeit schien stehen geblieben zu sein. Die Generation der Loveparades wuchs woanders auf.
    »Landeier.« Marsilio trank sein Glas aus und stellte es auf der Theke ab. Er vergaß manchmal, dass er selbst hier aufgewachsen war und dass seine Eltern aus einem ebenso kleinen Dorf in Sizilien stammten.
    Tim nickte. Seine Augen hatten schon einen leicht glasigen Ausdruck angenommen.
    Das Mädchen, in das er gerade verliebt war, tanzte mit einem sehr großen, sehr gut aussehenden Jungen aus einem der Nachbarorte. Tim hatte eine Begabung dafür, sich in die falschen Mädchen zu verlieben.
    »Gesprächig bist du ja heute nicht gerade.« Marsilio setzte ein frisch gefülltes Glas an die Lippen. Er wischte sich den Schaum vom Mund und grinste Marlon an. »Dabei weißt du doch, dass du mir jederzeit dein Herz ausschütten kannst. Papa Marsilio weiß immer Rat.«
    »Klar doch«, sagte Marlon.
    »Und ich?«, fragte Tim.
    Marsilio legte ihm den Arm um die Schultern. »Du hast dein Herz so oft ausgeschüttet, dass nichts mehr drin ist. Leer. Aber total!«
    »Blabla.« Tim nahm so leicht nichts krumm. Sein Mädchen, dem er nie verraten hatte, dass es sein Mädchen war, das nichts davon wusste, zog den großen Gutaussehenden von der Tanzfläche und verschwand mit ihm im Gewimmel.
    »Da geht sie hin.« Marsilio schüttelte bedauernd den Kopf. »Timmie, du musst noch viel lernen!«
    Tim drehte sich zu Marlon um. »Männer und Frauen passen nicht zusammen«, sagte er mit schwerer Zunge. »Findest du nicht?«
    »Ich finde vor allem, dass du zu viel getrunken hast.«
    »Wir haben ja auch schon früh

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