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Das blaue Mädchen

Titel: Das blaue Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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nickten ihr freundlich zu, doch niemand bot ihr einen Stuhl an.
    Mara blieb am Ende des Tisches stehen. Mit der rechten Hand umschloss sie die linke.
    »Mara, mein Kind«, sagte La Lune. »Wir freuen uns, dass du wieder bei uns bist.«
    Das hättet ihr einfacher haben können, dachte Mara. Ihr hättet mich ja nicht einzusperren brauchen.
    La Lune und die Mitglieder des engsten Kreises hatten viele Fähigkeiten, aber sie konnten keine Gedanken lesen. Das brachte Mara zum Lächeln. Waren Gedanken nicht etwas Wunderbares? Der einzige Bereich, in dem man absolut sicher war. Sie können einem sogar das Leben retten, dachte sie dankbar. Ohne meine Gedanken hätte ich das Strafhaus nicht überstanden.
    La Lune und die Mitglieder des engsten Kreises missverstanden ihr Lächeln und lächelten ebenfalls.
    Mara spürte, wie ein Rest alter Kraft in ihr wach wurde. Sie hatte das Bedürfnis, sich zu dehnen und zu strecken, damit diese Kraft durch alle Glieder fließen konnte. Aber sie beherrschte sich.
    »Man muss streng sein zu denen, die man liebt«, sagte La Lune. »Man muss das Ungezähmte zähmen und das Ungebärdige zügeln. Es hat uns geschmerzt, dich zu bestrafen.«
    Die Mitglieder des engsten Kreises hatten aufgehört zu lächeln. Der Schmerz, den sie durch die Bestrafung empfunden hatten, spiegelte sich auf ihren Gesichtern. Alte Gesichter. Gesichter, die Mara einmal für gütig und weise gehalten hatte.
    Mara senkte den Kopf. Das war angemessen. Alle Kinder des Mondes wussten instinktiv, was angemessen war. Man hatte es ihnen von Geburt an eingeimpft. Sie durfte den Blick erst wieder auf La Lune richten, wenn die sie dazu aufforderte.
    »Sieh mich an, mein Kind«, sagte La Lune.
    Ich bin nicht dein Kind, dachte Mara. Ich bin niemandes Kind. In diesen dreißig Tagen, die hinter mir liegen, bin ich erwachsen geworden. Ich gehöre mir selbst, mir ganz allein.
    Sie hob den Kopf und sah La Lune an.
    »Hast du bereut?«
    Hatte Mara erwartet, von dieser Frage verschont zu bleiben? Wie naiv. Sie hätte sich darauf vorbereiten und sich eine Antwort zurechtlegen müssen. Das wäre etwas gewesen, mit dem sie sich an all den langen Tagen hätte beschäftigen können. Es hätte ihre Gedanken beieinander gehalten.
    »Ich bin müde«, sagte sie.
    La Lune schien niemals müde zu sein, nie erschöpft. Vielleicht hielt ihr Lächeln sie jung. Sie sprühte vor Energie. Es war, als wäre sie von einer knisternden Aura umgeben. Sie überging Maras Bemerkung.
    »Womit hast du deine Zeit der Strafe verbracht?«, fragte sie.
    Mit Verzweiflung, dachte Mara, mit Unglücklichsein, mit der furchtbaren Angst, den Verstand zu verlieren.
    »Ich habe nachgedacht«, sagte sie und wunderte sich darüber, wie fest ihre Stimme klang.
    La Lune nickte zufrieden. Die Mitglieder des engsten Kreises lächelten wieder.
    »Und weiter?«
    »Ich habe gebetet«, sagte Mara. Wie leicht ihr die Lüge über die Lippen kam.
    »Um was hast du gebetet?«, fragte La Lune.
    »Um Vergebung.«
    Eine sonderbare Mattigkeit füllte plötzlich Maras ganzen Körper aus. Sie hätte ihr gern nachgegeben, aber sie musste aufpassen und durfte nicht unvorsichtig werden.
    »Das soll für heute genug sein«, sagte La Lune. »Geh auf dein Zimmer und nimm dein Leben wieder auf. Wir haben noch vieles zu besprechen, aber das hat Zeit.«
    Nimm dein Leben wieder auf.
Das hörte sich an, als hätte Mara es für eine Weile irgendwo abgelegt. Doch das hatte sie nicht getan. Sie hatte nur eine unbekannte Seite des Lebens kennen gelernt, den Schmerz und die Verzweiflung.
    Mara verbeugte sich.
    »Gehe hin in Frieden«, sagten die Mitglieder des engsten Kreises im Chor.
    In Frieden, dachte Mara müde. Das wäre schön.
    Draußen wurde sie von der frischen Luft empfangen, die sie beinah schwindlig machte. Sie war allein. Niemand begleitete sie, niemand bewachte sie. Die Kinder des Mondes gingen ihren Beschäftigungen nach. Sie grüßten Mara, wie sie es immer getan hatten, und Mara grüßte zurück, wie sie es erwarteten.
    Als hätte sich nichts verändert.
    Aber es hatte sich etwas verändert. Etwas Entscheidendes. Sie selbst war anders geworden.

    Marlon hatte Stauffer eine Reihe neuer Fotos gezeigt und gemeinsam hatten sie ein paar davon für die Ausstellung ausgewählt. Die restlichen hatte Marlon wieder eingepackt.
    »Du solltest das Fotografieren ernsthaft verfolgen«, sagte Stauffer, als sie über den Schulhof gingen.
    »Tu ich doch.«
    »Ich meine beruflich«, erklärte Stauffer. »Deine

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