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Das blaue Mädchen

Titel: Das blaue Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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Gefühle unter Kontrolle bekommen.
    Er hatte sich nie an den Gedanken herangewagt, dass auch Flucht ein Weg sein könnte.
    Aber selbst wenn Jana dazu bereit wäre, selbst wenn es ihm gelänge, sie da herauszuholen – wo sollte er sie verstecken?
    Er sah über die Schulter. Da saßen sie und steckten die Köpfe zusammen. Wäre von ihnen Hilfe zu erwarten?

    Auf dem Weg zur Bibliothek spähte Jana zu den Bauern hinüber. Offenbar bauten sie die Scheune wieder auf, die neulich abgebrannt war. Ob auch Marlon dabei war?
    Marlon.
    Sie senkte den Blick. Neugier würde sie verdächtig machen. Sie durfte sich keinen Fehler erlauben.
    Miri hatte sie nicht gehen lassen wollen. Ihr Gesicht war voller Angst gewesen.
    »Beim Mittagessen sehen wir uns doch wieder, Miri.«
    »Du gehst nicht für immer weg? Wie Mara?«
    Jana hatte sie an den Schultern gefasst.
    »Ich lasse dich nie, nie, niemals allein, hörst du? Niemals, Miri.«
    Miri hatte sie forschend angesehen, als wollte sie sich vergewissern, dass die Worte auch wirklich mit dem übereinstimmten, was sie in Janas Augen lesen konnte. Ihr Gesicht hatte sich entspannt und sie war wieder zu den anderen Kindern gelaufen.
    Gertrud saß lesend an ihrem Schreibtisch. Sie lächelte und klappte das Buch zu.
    »
Die schönsten Sagen des klassischen Altertums
«, sagte sie. »Als Kind habe ich sie geliebt. Jetzt wollte ich sie noch einmal lesen und muss feststellen, dass ich mir all die Namen kaum noch merken kann. Ich werde alt, Jana.«
    »Nein, nicht alt. Du wirst weise.«
    »Wenn das bedeutet, dass man keine Namen mehr behalten kann und beim Reden nach jedem dritten Wort suchen muss, dann ist Weisheit nicht eben ein erstrebenswerter Zustand, meinst du nicht auch?«
    Jana zog sich einen Stuhl heran. Es gab doch noch ein paar verlässliche Dinge. Diesen Raum. Dass Gertrud da war. Und dass sie ihr trauen konnte.
    Sie erzählte ihr, worüber sie in der vergangenen Nacht nachgegrübelt hatte.
    »Genial«, sagte Gertrud. »Und ich bin mir sicher, dass Timon nicht nur
eine
falsche Spur gelegt hat. Fast wünsche ich mir, dass sie auf die Idee kommen, hier herumzuschnüffeln. Das würde Mara und Timon wertvolle Zeit verschaffen. Und wer weiß?« Sie zwinkerte Jana zu. »Vielleicht kann ich noch zusätzlich ein bisschen Verwirrung stiften?«
    Sie gingen zum Speisesaal hinüber.
    Offenbar sollte es heute kein Verhör mehr geben. Am Nachmittag würde Jana wieder in der Bibliothek arbeiten. Es war keine Ausleihe. Sie hatten sich vorgenommen, einige neue Regale aufzustellen.
    »Kann ich heute für eine Weile verschwinden?«, fragte Jana mit gedämpfter Stimme. Aus sämtlichen Gebäuden strömten die Kinder des Mondes. Vorm Speisesaal hatte sich schon eine Warteschlange gebildet.
    »Verschwinden?«
    »Ich sage dir später, warum.«
    Gertrud grüßte freundlich lächelnd nach rechts und links.
    »Denken wir uns einen hübschen Grund aus«, sagte sie. »Nur für den Fall.«

    Marlon nahm ein Bad. Er war so ausgekühlt, dass er noch im heißen Wasser fröstelte.
    Er hatte sich ein Buch mit in die Wanne genommen, das Stauffer ihm geliehen hatte. Es trug den Titel
Perspektiven
und setzte, wie Stauffer es formuliert hatte, theoretisch um, was Marlon instinktiv richtig machte.
    »Du sollst auch weiterhin deiner Intuition vertrauen«, hatte Stauffer gesagt, »aber es kann nicht schaden, wenn du
weißt
, was du tust.«
    Marlon las die Einleitung und fand sie reichlich verworren. Als wäre der Autor mehr in seine Worte verliebt als in sein Thema. Er sah sich die Fotografien an, die als Beispiele dienen sollten. Sie waren von mieser Qualität und Marlon wandte sich wieder dem Text zu.
    Aber er konnte sich nicht richtig darauf einlassen. Immerzu schweiften seine Gedanken ab.
    Seine Schwestern hatten sich wie die Geier auf das Gerücht von der Flucht der beiden Kinder des Mondes gestürzt. Ein Junge und ein Mädchen? Das konnte nur eine Liebesgeschichte sein.
    »Sie hätten doch heiraten können«, hatte Greta auf dem Heimweg gesagt. »Warum fliehen?«
    »Weil es da ein dunkles Geheimnis gibt«, hatte Marlene geantwortet. »Vielleicht hat man es ihnen nicht erlaubt.«
    »Oder sie konnten einfach diesen haarsträubenden Unsinn von der Mondheit und all dem anderen Zeug nicht mehr hören«, hatte der Vater sich eingemischt. »Es sollen ja schon öfter welche versucht haben abzuhauen.«
    »Und was ist mit denen passiert?«, hatten Greta und Marlene gleichzeitig gefragt.
    »Sie werden sie wieder eingefangen

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