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Das blaue Siegel

Das blaue Siegel

Titel: Das blaue Siegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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ledernen Füße waren ebenfalls feucht, weil sie die Nässe nicht abwiesen, sondern aufzusaugen schienen. Er verlor viel zu viel Wärme, man sah es an dem leichten Dunst, der ständig von ihm aufstieg, und er roch auch noch unglaublich stark. Der würde ihnen nicht viel anhaben können. Dennoch klopfte die Wachsamkeit von zwei Millionen Jahren in ihrem Blut, und so bildete das Paar, Schulter an Schulter, die großen Köpfe gesenkt, jene alte Phalanx, die die Wölfe so fürchteten und hinter der ihr Kalb in Sicherheit war.
    Das Merkwürdigste war, dass die Tiere weder angriffen noch wegliefen. Sie drängten sich nur zusammen, bildeten eine lebende Mauer, hinter der das Kalb neugierig hervorlugte. Etwas Derartiges hatte Sergeant Woon, der nach seiner eigenen Einschätzung in England, Indien und Afrika schon alles gejagt hatte, was sich auf der Erde, in der Luft und im Wasser bewegte – einschließlich aufständischer Eingeborener und desertierter Matrosen –, noch nie erlebt. Leider hatte er sich bei den fehlgeschlagenen Versuchen auf den Rentierbullen fast leergeschossen. Zwar besaß er noch jede Menge Pulver, aber nur noch zwei Kugeln.
    Die erste fällte die etwas kleinere Kuh, die in den Knien einknickte und tot war, ehe sie den Boden berührte. Der Bulle schnaubte verwundert, schnüffelte an dem Kadaver, stieß sie mehrmals mit der Nase in die Seite, flüchtete aber noch immer nicht, während Woon nachlud, so schnell er konnte. Das Kalb stand erstarrt vor Schreck, wohl wegen des plötzlichen scharfen Knalls. Dann schrie es leise nach seiner Mutter. Daraufhin wandte sich der Bulle wieder dem unheimlichen Wolf zu, scharrte mit den Hörnern im Schnee und schüttelte mehrfach herausfordernd seinen riesigen Schädel. Dabei stand er weiterhin fest vor dem Kalb und über seiner toten Gefährtin.
    Dieser Anblick war so erschütternd, dass der harte Jäger ihn mit seiner zweiten und letzten Kugel nur verwundete. Und jetzt, endlich, ging der Bulle auf ihn los. Woon, geistesgegenwärtig, stieß den eisernen Ladestock in den mit Pulver gefüllten Lauf und tötete damit das anstürmende Tier, das keine drei Schritte von ihm entfernt in den Schnee fiel. Das Kalb bewegte sich immer noch nicht.
    Vielleicht würde es lange genug dort stehen bleiben, während er zum Schiff ging und Hilfe holte, um die Fleischberge abzutransportieren. Aber er war noch keine Stunde weit weg, als er die Wölfe hinter sich heulen hörte. Hätte er nur Munition bei sich gehabt, wäre er jetzt zurückgegangen und hätte dem Raubgesindel die leichte, unverdiente Beute verleidet. Zumindest hätte er dann auch das Kalb erschießen können, sagte er sich bitter. Immerhin konnte, nachdem der Sergeant einen anderen Jagdtrupp getroffen und den Männern Weg und Schauplatz genau beschrieben hatte, den Wölfen noch fast die Hälfte des Fleisches abgejagt werden.
     

97.
     
    Die Hilflosigkeit britischer Seeleute an Land war legendär. Vor noch nicht achtzig Jahren hatte sich zum Beispiel ein Mann, der mit Kapitän Cook die Südsee entdeckte, auf einer Insel verlaufen, auf der man eigentlich nur frisches Wasser aufnehmen wollte. Drei Tage war er umhergeirrt und nahe am Verhungern, als eine Suchmannschaft ihn endlich fand. Ratlos, ungläubig und auch ein wenig ärgerlich berichteten die Offiziere später, dass es auf der ganzen Insel überhaupt nur zwei Stellen gab, von denen aus man die Masten des Schiffes nicht sehen konnte.
    Auf Banks-Land waren die Sichtverhältnisse zwar deutlich schwieriger, aber McClure hatte Dutzende von Wegweisern aufstellen lassen, um die Jäger, die sich in Nebel und dichtem Schneetreiben immer wieder verirrten, zum Schiff zurückzuführen. Dennoch ging fast jede Woche jemand verloren und musste umständlich gesucht werden. Charles Anderson zum Beispiel, der schwarze Matrose und Romeo des Südpazifiks, war zwölf Stunden unterwegs gewesen und zuverlässig erst in die falsche Richtung und dann im Kreis gegangen, als Sergeant Woon, wieder auf einsamer Jagd, ihn entdeckte. Kaum noch bei Sinnen, hatte ihn Woon zuerst regelrecht an die Leine nehmen müssen wie einen Hund, um ihn zum Schiff zurückzuzerren.
    Als der Mann schließlich zusammenbrach, hatte er ihn tatsächlich getragen, aber nur hügelaufwärts; herunter hatte er ihn durch das immer noch dichte Schneegestöber rollen müssen, denn Anderson war leider einer der schwersten Männer der Investigator und beinahe zwei Köpfe größer als Woon. Zurück an Bord konnte der farbige

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