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Das blaue Siegel

Das blaue Siegel

Titel: Das blaue Siegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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Haarbüschel herum, das aus seinem linken Ohr herauswuchs. »Aber was haben Sie denn in des Teufels drei Namen herausgefunden?«
    »Muss das hier im Beisein der Witwe wirklich ausgebreitet werden, Euer Ehren?« Colonel Outram war wieder ganz Lancelot.
    »Wie soll ich das beurteilen, wenn ich nicht weiß, worum es eigentlich geht?«, brummte der Richter.
    Gowers lächelte.
    »Möchten Sie sich zurückziehen, Mylady, während wir den Sachverhalt erörtern?«, fragte Trevelyan.
    Lady Wedderburn schüttelte tapfer den Kopf, und ihr Ritter nickte, als hätte er nichts anderes von ihr erwartet.
    »Also, Mr. Gowers«, schnarrte Trevelyan, »es wird von Minute zu Minute wärmer. Vergeuden wir nicht länger unsere Zeit …«

13.
     
    Sir Reginald Wedderburn war in eine Falle gelockt worden. Man wusste nicht, wie, man wusste nicht, warum, aber er war in das fremde Haus, eine fremde Wohnung gegangen, vielleicht mitgegangen mit seinen Mördern, und dort hatten sie ihn getötet. Sein Hinterkopf war durch einen wuchtigen Schlag völlig zertrümmert worden. Dennoch hatte sich Wedderburn allem Anschein nach tapfer gewehrt und zumindest einen der Angreifer, einen etwa siebzehnjährigen Inder, mit in den Tod genommen. Man fand die Leichen ineinander verklammert, und es schien zuerst, als habe er den Burschen mit beiden Armen erwürgt, bis man die Stichwunde im Rücken des jungen Mannes entdeckte.
    Das war alles, was aus dem Polizeibericht hervorging. Wedderburn war ein verdienter General im Ruhestand sowie ein erfolgreicher Opiumgroßhändler, und die Tat mochte mit Konkurrenzkämpfen unter seinen Zulieferern in Verbindung stehen, jedenfalls war Sir Reginald angeblich wegen Verschiffungsproblemen von Surat nach Bombay gekommen, wo das Unglück im Altstadt- und Bordellviertel Tardeo geschehen war.
    Gowers fand zunächst heraus, dass das unbekannte Haus gar kein so unbekanntes Haus war, jedenfalls nicht für Wedderburn, der die Wohnung darin persönlich angemietet hatte. Dann kam er einem seltsamen physikalischen Phänomen auf die Spur: Die Wunde des jungen Mannes war nämlich zunächst nicht entdeckt worden, weil das Messer zwar seine Haut, seine Muskeln, seine Lunge und seine Milz durchbohrt, aber eigenartigerweise seine Kleidung, eine rote Weste und das knöchellange Hemd, unversehrt gelassen hatte. Das war entweder ein Wunder oder aber ein deutliches Indiz dafür, dass man ihm seine Sachen post mortem angezogen hatte. Was wiederum hieß, dass er sie zum Zeitpunkt seines Todes nicht getragen haben konnte; was wiederum hieß, dass die Tat nicht allzu viel mit dem Opiumgroßhandel, sondern mit Geschäften deutlich kleineren Umfangs, aber nicht geringerer Schäbigkeit zu tun hatte.
    »Diese überaus widerliche Unterstellung«, donnerte Colonel Outram, »wird glücklicherweise durch ein Detail ad absurdum geführt, das den scharfen Augen der polizeilichen Ermittler «  – diese Worte betonte er besonders – »natürlich nicht entgangen ist.« Er legte dem Richter ein Papier vor, das anscheinend die Leichenschau dokumentierte, aber anstatt es zu lesen, lehnte Trevelyan sich demonstrativ zurück: »Erzählen Sie’s mir einfach!«
    »Nun, äh …« Outram geriet ein wenig in Verlegenheit wegen der anwesenden Dame. »Der junge Mann, der Mörder … er war nämlich nicht kastriert!«
    Trevelyan stutzte. »Wer hätte ihn denn um Himmels willen kastrieren sollen, Outram? Sir Reginald? Und warum?«
    »Und womit?«, fragte Mukhopadhyaya. »Bei den Leichen wurde kein Messer gefunden.«
    »Das wird der Komplize zweifellos mitgenommen haben«, erwiderte der Oberst. »Der gleiche, der dem Jungen die Kleider wieder angezogen hat.«
    »Ihnen zufolge müsste also Folgendes geschehen sein«, mischte sich Gowers wieder ein. »Wedderburn betritt mit zwei Männern die Wohnung, die er, aus welchen Gründen auch immer, schon vor einem Jahr in Tardeo angemietet hatte.«
    »Das ist unbewiesen!«, sagte Outram.
    »Er hatte zu diesem Zeitpunkt kein Messer bei sich.«
    »Zweifellos wird er es den Tätern entrissen haben!«
    »Meinetwegen. Aber wie stößt er es dem Jungen in den Rücken, ohne die Kleidung zu beschädigen? Und warum soll er ihn danach noch auf so ungewöhnliche Weise erwürgt haben?« Gowers erhob sich, legte beide Arme um den Nacken seines überraschten Anwalts und drückte ihn trotz sofortiger Gegenwehr an seine Brust. »Währenddessen«, fuhr er ungerührt fort, »beschafft sich der zweite Mörder irgendeinen schweren Gegenstand, mit

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