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Das blaue Siegel

Das blaue Siegel

Titel: Das blaue Siegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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an und war überhaupt sehr freundlich gewesen. Der Mannschaft war befohlen worden, ihn als Offizier zu behandeln, wobei Miertsching sich allerdings immer noch spontan umschaute, wenn ein Mann ihn mit »Ay, Sir!« oder Vergleichbarem anredete.
    Ein besonderes Ärgernis war ein Neger, Charles Anderson, der mehrere Jahre lang auf einem Schiff gefahren war, das deutsche und österreichische Auswanderer in die Neue Welt brachte. Anderson war infolgedessen der einzige Mann an Bord, der einige deutsche Wörter beherrschte – wenn es auch nicht die Wörter waren, die ein Missionar der Brüdergemeinde zu hören gewohnt war. Martin Luther hätte vielleicht Gefallen an Andersons Ausdrucksweise gefunden. Miertsching jedoch musste sich beim Kommandanten beschweren, als der Neger nicht aufhörte, ihn mit den Worten »Trittarsch Krummhund, guten Morgen, Herr Amtsrat, Sir!« an Deck zu begrüßen.
    Dem Kapitän gegenüber hatte Anderson, ein geborener Schauspieler, sehr gekonnt so getan, als kenne er die Bedeutung der von ihm verwendeten Begriffe nicht, und nacheinander Ahnungslosigkeit, Bestürzung und Zerknirschung gezeigt. Eine Bestrafung war jedenfalls nicht möglich, und so hatte die kleine Untersuchung an Bord der Investigator lediglich eine Heiterkeit ausgelöst, von der der Missionar wusste, dass sie hinter seinem Rücken immer wieder ausbrach.
    Miertsching dankte Gott dafür, dass Englisch eine so leicht zu erlernende Sprache war. Viele Wörter, aber nur wenig Regeln, die man sich einprägen musste, und deshalb mit einem guten Nomenklator leicht zu bewältigen. Natürlich war ihm klar, dass er damit nie in jene nur halb bewussten Schichten eines in Sprache gefassten Denkens vordringen würde, die die Völker wirklich voneinander trennen, aber das war bei seiner Lebensaufgabe auch nicht notwendig. Er verkündete eine Botschaft, die über jedem Denken stand.
    Zunächst hatte er sich selbst kleine Traktate und Bibelverse aus der King-James-Version laut vorgelesen und war dann, einfache Sätze murmelnd und sich der eigenen Kuriosität schmerzlich bewusst, an Deck auf und ab gegangen: »Ich fürchte den Teufel nicht, du fürchtest den Teufel nicht, er, sie, es fürchtet den Teufel nicht! Wir fürchten den Teufel nicht, ihr fürchtet den Teufel nicht, sie fürchten den Teufel nicht! Fürchtet den Teufel nicht!«
    Ein sehr junger Matrose, das lange schwarze Haar zu einem Zopf gedreht, war dabei hinter ihm aufgetaucht und hatte den Missionar mit einem beinahe beleidigenden Grinsen korrigiert: »Wir sagen nicht Teufel, Sir. Wir nennen ihn Davy Jones!«
     

16.
     
    Masjid Jawaharlal Mukhopadhyayas Größe kam einem erst richtig zu Bewusstsein, wenn man neben ihm herging oder ihm beim Vieraugengespräch unwillkürlich in die Nasenlöcher sah. Im Augenblick ging Gowers nur schweigend neben ihm her und fingerte seine blaue Brille hervor, weil ihm das grelle Licht des indischen Aprilmorgens schon während der Anhörung Kopfschmerzen verursacht hatte. Colonel Outrams Kutscher hatte ihm seine Sachen vor die Füße geworfen, und so hatte er wieder alles, womit er vor neun Tagen in Delhi angekommen war. Aber auch nicht mehr, wenn man die Läuse ausklammert, die er sich im Gefängnis geholt hatte.
    Richter Trevelyan hatte mit seinem gesträubtesten Backenbart soeben verkündet, dass Gowers’ Ermittlungen wertlos – weil nicht zu beweisen – waren, und ihn mit der Auflage, Lady Wedderburn nicht mehr zu belästigen und sich vor übler Nachrede zu hüten, aus der Haft entlassen. Der Status quo ante war nur insofern nicht wiederhergestellt, als der Investigator jetzt Schulden – und Läuse – hatte. Aber sein Anwalt war ein behutsamer Gläubiger, während die Läuse, angeregt durch das strahlende Wetter, jetzt eifrig bemüht waren, an möglichst dunkle Orte zu gelangen.
    »Wissen Sie schon, wo Sie jetzt hingehen?«, fragte Mukhopadhyaya.
    »Zu einem Barbier«, erwiderte Gowers, der sich verzweifelt kratzte. »Sofern Sie mir ein wenig Geld leihen!« Und als der große, dünne Mann, erstaunt über so viel Frechheit, stehen blieb und zögerte, fügte er hinzu: »Ich schulde Ihnen ohnehin schon Ihr Honorar, da kommt es auf ein paar Annas auch nicht mehr an. Betrachten Sie es als geschäftliche Investition: Erst wenn ich wieder wie ein Detektiv aussehe, kann ich Ihnen vielleicht etwas einbringen. Im Augenblick müssten Sie mich dazu wohl auf dem hiesigen Sklavenmarkt verkaufen!«
    Dieses Argument überzeugte den jungen Inder,

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