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Das blaue Siegel

Das blaue Siegel

Titel: Das blaue Siegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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überzogen. Sie vergaß darin die Rückenschmerzen, die sie schon als junges Mädchen gepeinigt hatten, fragte sich aber auch, wie man mit einer Krinoline oder gar dem albernen Cul de Paris überhaupt darin sitzen konnte, und gelangte durch diese bequeme Ausnahme von der abendländischen Regel schließlich zu einer wesentlichen Erkenntnis.
    Die Kultur des europäischen, englischen Alltags beruhte auf Anstrengung, die orientalische, indische, auf der Entspannung. Auf einem großen weichen Gaddi konnte der Körper bequem jede Lage einnehmen, während ein englischer Polsterstuhl eine anstrengende, erschöpfende Sitzaufgabe darstellte. Nicht umsonst wurden die Kinder in Belaits Schulen an ihren Stühlen festgebunden. Der Körper verkrampfte sich, das Blut stockte, die unteren Chakren verstopften. Der Geist konnte die Eingeweide nicht mehr durchwandern, dem Bauch, dem Hintern und den Geschlechtsteilen schwanden die Sinne, stiegen hoch in den harten kleinen Schädel und blieben dort eingesperrt. Lag es daran?
    Es klopfte. Das musste im englischen Zimmer so sein, weil es eine dicke hölzerne Tür hatte, durch die man nicht sehen oder hören konnte, wenn jemand sich näherte. Es war Ishrat, die große Wächterin der Zenana , das goldverzierte Schwert an der Seite.
    »Niazoo behauptet, dass sie nichts weiß, Erhabene!«
    »Foltert sie«, sagte Zinat Mahal Begum ruhig und versetzte den geliebten Schaukelstuhl mit einem leichten Stoß ihrer perlengeschmückten Füße in Bewegung, den Blick in einen Öldruck von Joseph Mallord William Turner versenkt.
    Diese Engländer versuchten sogar, das Licht zu malen, aber sie ließen es nicht in ihre Häuser!
     

11.
     
    Die Augen verfolgten jede seiner Bewegungen, bannten ihn, und er konnte oder wollte nicht verhindern, dass die Mädchen ihm die schmierigen Kleider auszogen. Er sah nur die Augen, schwarze Sterne an einem dunklen Himmel, die gütig auf ihn herabblickten und vielleicht lächelten. Er hätte das Lächeln gerne gesehen, aber es brannte kein Licht, und ein seidener Schleier, mehrfach um Gesicht und Haar gewickelt, ließ ihn nichts als die Augen sehen in der Dämmerung und eine Ahnung des Lächelns der Königin.
    Sie war stets seine Königin gewesen, schon damals, als sie ihn auswählte; ein hungriger kleiner Wolf, kastenlos, den sie erziehen ließ mit so vielen anderen Wölfen. Der Lesen und Schreiben lernte, Rechnen, schließlich als Banian nach Delhi geschickt wurde. Er hatte nie aufgehört, sie zu lieben, obwohl er sie fast nie sah, nur ihre Botschaften, ihre Befehle weiterleitete. Sie stand zu hoch über ihm. Er war nur ihr Sklave gewesen bis zu dieser Stunde. Nun aber hatte er einen König getötet und war dadurch selbst ein König geworden, der triumphierend zurückkehrte in das blaue Haus seiner Kindheit. Nie war er sich seines Wertes und der huldvollen Anerkennung dieses Wertes so bewusst gewesen wie jetzt, als er nackt vor seiner Königin stand und auf seinen Lohn wartete.
    Dann änderte sich etwas. Irgendwo erklang leise Musik, die Luft war erfüllt von süßem Bangh , und eine seltsame, zischelnde Stimme sagte: »Du hast uns große Freude gemacht, Gazee, und wir wollen dich belohnen.«
    Die Augen gaben ihn frei, und nun erst sah er die Mädchen wirklich und dass er nackt war, und er schämte sich für seine erwachende Männlichkeit. Sie führten ihn rasch durch mehrere Räume, der Musik und dem Licht entgegen, bis sie an das große Becken mit seinem klaren Wasser kamen. Hier war es so hell, dass Gazee, der so lange im Dunkeln gewandert war, die Augen schließen musste. Hier war die Quelle des Lichts, das ihm geleuchtet hatte auf seinen finsteren Wegen.
    Überall brannten Opferschalen, Schwaden des süßen Nebels zogen über das Wasser und betäubten ihn fast, als die Mädchen anfingen, ihn zu waschen. Ihre Kleider lösten sich auf im Wasser, und ihre Hände waren sehr sanft, und als er ganz sauber war, trockneten sie seinen Körper mit ihren langen schwarzen Haaren ab. Er sah das Zeichen in ihren Nacken und freute sich; es war auch sein Zeichen, und jetzt würden sie ihm gehören.
    Sein Herz sprang beinahe aus der Brust, das Blut rauschte in seinen Ohren, und sein Glied schmerzte vor Härte, als er die Erste nahm, auf einer Matte aus Blüten am Beckenrand. Die Finger, die Haare der anderen hörten nicht auf, ihn zu streicheln, zu reizen, und er nahm die Zweite, die Dritte und hörte dann auf, sie zu zählen. Sie hielten eine der duftenden Schalen vor sein Gesicht,

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